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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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vor dem Interview quasi gewarnt, er müsse aufpassen, ich denke doppelt so schnell wie normale Menschen), und warum fiel der betrunkene Wagner-Zelinsky gestern abend über meinen (kostbarsten) Majorelle-Tisch, daß er hin ist?

    Gerade zurück von Lenz; das Gespräch ist eher middle-brow , aber ich war auch nicht auf der Höhe, nicht nur, weil mir zu ihm nicht viel einfiel, sondern weil ich aus Wut über den zerstörten Tisch und aus Kummer über alles Mögliche kaum geschlafen hatte, trotz 9 Stunden im Bette, rasendes Kopfweh, obwohl wenig getrunken und Bauchweh vom Lenzschen Pflaumenkuchen. Vielleicht macht mich die Schulaufgabe, ich habe nur noch Glanzstücke zu liefern, auch unfähig zu Glanzstücken. Einzig erfreulich die Reaktion aus dem Hause Fischer, aus dem immerhin dieser junge, neue Cheflektor hingerissen sich für den Abend bedankte (die Inhaberin nicht!) und meinte, daß dieses von mir so «bescheiden» charakterisierte Buch mit Sicherheit der Haupttitel des Fischer-Programms des nächsten Herbstes würde. Hm. On verra. Es soll «Die Nachgeborenen» heißen. Das schließt übrigens eine baldige Publikation von «Kuhauge» aus, denn die Frühjahrsprogramme sind fertig, und ich kann im Herbst nicht neben diesem dicken Schinken meine kleine novelet präsentieren. Dienstag mittag bin ich mit Augstein verabredet – dann wissen wir wenigstens, daß das NICHTS wird. Ich kalkuliere, daß es bei der ZEIT auf eine Trennung im Laufe des kommenden Jahres hinausläuft und auf irgendeinen Mitarbeitervertrag. Dann müssen wir uns eben einschränken … Rührend übrigens und dann eben doch mein alter Tigertank, der sie ja mal war, Mutter und Vater zugleich, die alte Mary Tucholsky, die einen «Donnerwetter»-Brief schrieb, wieso ich sie nicht an meinen Sorgen teilnehmen ließe und wie sie helfen könne. Ich solle ihr mal meine «Bücher» offenlegen (wie in einem Kontor bei Fontane), damit sie wisse, wieviel Geld ich denn brauche, um meinen «Seelenfrieden» zu finden; sie würde das dann irgendwie regeln. Das hat mich doch ziemlich umgeschmissen – und natürlich habe ich Geld-Hilfe abgelehnt; aber daß sich jemand so konkret kümmern will, hat mir gutgetan. So, jetzt ist Bloody-Mary-Time, dann gibt’s Heringe mit Apfel und Zwiebel zum Columbo-Krimi.

1983
    22. Januar
    Meine München-Reise vorgestern war auf vielfältige Weise gespenstisch: Maximilian Schell war vor Monaten zu dem – wohl letzten – großen Gespräch von Marlene Dietrich empfangen worden und hatte 40 Stunden Tonbandaufnahmen. Als ich davon erfuhr, rief ich ihn an, um zu fragen, ob da für die ZEIT etwas bei rauskommen könnte. Kurz: Ich flog nach München, und er spielte mir im Schneideraum die von ihm verabschiedete Fassung vor; er will einen Kinofilm daraus machen, ein «documentary», also mit eingeschnittenen Filmscenen. Der erste Schock: Da saß ein rückenkrummer, ältlich und auseinandergelaufen aussehender Maximilian Schell, mit dicken Ringen unter den Augen und einer Strickjacke an. Nix mehr vom einstigen Film-Beau und Tennisstar-haften. Mein Schock war deshalb so groß, weil ich natürlich sofort dachte: Das geht ihm jetzt umgekehrt genauso, noch dazu mit Bart, den ich damals, als wir uns vor Jahren kennenlernten, nicht hatte. Und: Es geht auch allen anderen so, die mich heute kennenlernen: alt, faltig. Nächster Schock: Eine oft fast lallende, offenbar meist betrunkene alte und dünne Stimme sprach da – die, die wir vom strahlenden «Heute, da such ich mir was aus, einen Mann, einen richtigen Mann!» kennen. Streckenweise sprach sie nur Unsinn, gelegentlich wieder sehr schöne, kluge Sachen – im ganzen aber ein wirres Potpourri. «Das letzte Band», nur nicht als Kunstwerk, sondern ein echter, lebendiger Mensch – der noch gespenstischer dadurch wurde, daß man ihn nie sah; sie läßt sich nicht mehr fotografieren und sagte auf eine wiederholte Bitte von Schell: «I’ve been photographed to death!» Das wird meine Überschrift in der ZEIT! Danach zu Schell – ein unordentlicher, leicht schmuddeliger Junggesellenhaushalt, ungemütlich und auch häßlich, lieblos eingerichtet – – – und dabei die wundervollsten Kunstgegenstände an der Wand, Picassos (ihm gewidmet), Rothko, Chagall, Giacometti. Aber auf dem Tisch eine Decke mit kleinen, eingestickten Weihnachtsbäumen – und AM Tisch ein müder, resignierter Mann, der seinen Beruf nicht mehr mag und nicht weiß, welchen anderen er ausüben soll. Das Essen – Büchsensuppe

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