Tagebücher
zugrunde.
Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins. Möglichst asketisch leben, asketischer als ein Junggeselle, das ist die einzige Möglichkeit für mich, die Ehe zu ertragen. Aber sie?
Und trotz allem, wären wir, ich und Felice, vollständig gleichberechtigt, hätten wir gleiche Aussichten, und Möglichkeiten, ich würde nicht heiraten. Aber diese Sackgasse, in die ich ihr 183
Schicksal langsam geschoben habe, macht es mir zur unausweichlichen, wenn auch durchaus nicht etwa unübersehbaren Pflicht. Irgend ein geheimes Gesetz der menschlichen Beziehungen wirkt hier.
Der Brief an die Eltern machte mir große Schwierigkeiten besonders deshalb, weil ein unter besonders ungünstigen Umständen abgefaßtes Concept sich lange nicht abändern lassen wollte.
Heute ist es mir doch beiläufig gelungen, wenigstens steht keine Unwahrheit darin und es bleibt doch auch für Eltern lesbar und begreiflich.
Wie kalt ich heute abend - Oskar und die Frau waren nicht zuhause - mit dem vermeintlich von mir geliebten Leo spielte. Er war mir widerlich fremd und dumm.
15 (August 1913) Qualen im Bett gegen Morgen. Einzige Lösung im Sprung aus dem Fenster gesehn. Die Mutter kam zum Bett und fragte, ob ich den Brief abgeschickt habe und ob es mein alter Text gewesen sei. Ich sagte, es wäre der alte Text, nur noch verschärfter. Sie sagte, sie verstehe mich nicht. Ich antwortete, sie verstehe mich allerdings nicht und nicht etwa nur in dieser Sache. Später fragte sie mich, ob ich dem Onkel Alfred schreiben werde, er verdiene es, daß ich ihm schreibe. Ich fragte, wodurch er es verdiene. Er hat telegraphiert, er hat geschrieben, er meint es so gut mit Dir. "Das sind nur Äußerlichkeiten" sagte ich "er ist mir ganz fremd, er mißversteht mich vollständig, er weiß nicht, was ich will und brauche, ich habe nichts mit ihm zu tun. " "Also keiner versteht Dich" sagte die Mutter "ich bin Dir wahrscheinlich auch fremd, und der Vater auch.
Wir alle wollen also nur Dein Schlechtes." "Gewiß Ihr seid mir alle fremd, nur die Blutnähe besteht, aber sie äußert sich nicht. Mein Schlechtes wollt Ihr gewiß nicht. "
Durch dieses und durch einige andere Selbstbeobachtungen bin ich dazu geführt worden, daß in meiner immer größer werdenden innern Bestimmtheit und Überzeugtheit Möglichkeiten liegen, in einer Ehe trotz allem bestehen zu können, ja sie sogar zu einer für meine Bestimmung vorteilhaften Entwicklung zu führen. Es ist das allerdings ein Glaube, den ich gewissermaßen schon auf der Fensterkante fasse.
Ich werde mich bis zur Besinnungslosigkeit von allen absperren. Mit allen mich verfeinden, mit niemandem reden. -
Der Mann mit den dunklen, streng blickenden Augen, der den Haufen alter Mäntel auf der Achsel trug.
Leopold S. großer starker Mann, ungelenke ziehende Bewegungen, lose hängende, faltige, schwarzweiß karrierte Kleider eilt durch die Tür rechts in das große Zimmer, schlägt in die Hände und ruft Felice! Felice! Ohne einen Augenblick auf den Erfolg seines Rufens zu warten, eilt er zur Mitteltür, die er, wieder Felice rufend, öffnet.
Felice S. tritt durch die linke Tür ein, bleibt an der Türe stehn, 40 jährige Frau in Küchenschürze Hier bin ich schon Leo. Wie Du nervös geworden bist in der letzten Zeit! Was willst Du denn?
Leopold. dreht sich mit einem Ruck um, bleibt dann stehn und nagt an den Lippen Nun also! Komm doch her! (er geht zum Kanapee)
F. (rührt sich nicht) Schnell! Was willst Du? Ich muß doch in die Küche.
184
L. (vom Kanapee aus) Laß die Küche! Komm her! Ich will Dir etwas Wichtiges sagen. Es steht dafür. Komm doch!
F. (geht langsam hin, zieht die Tragbänder der Schürze in die Höhe) Nun was ist es denn so Wichtiges? Wenn Du mich zum Narren hältst, bin ich bös, aber ernstlich.
(Bleibt vor ihm stehn)
L. Also setz Dich doch!
F. Und wie wenn ich nicht will.
L. Dann kann ich es Dir nicht sagen. Ich muß Dich nahe bei mir haben.
F. Nun sitze ich also schon.
21 VIII 13
Ich habe heute Kierkegaard Buch des Richters bekommen. Wie ich es ahnte, ist sein Fall trotz wesentlicher Unterschiede dem meinen sehr ähnlich zumindest liegt er auf der gleichen Seite der Welt. Er bestätigt mich wie ein Freund. Ich entwerfe folgenden Brief an den Vater, den ich morgen wenn ich die Kraft habe, wegschicken will.
Sie zögern mit der Beantwortung meiner Bitte, das ist ganz verständlich, jeder Vater würde es jedem Bewerber gegenüber tun, das veranlaßt
Weitere Kostenlose Bücher