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Tagebücher

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Titel: Tagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Gesicht, als ob ihr ein großes Unglück geschehen wäre.

    Heute nachmittag kam der Schmerz über meine Verlassenheit, so durchdringend und straff in mich, daß ich merkte, auf diese Weise verbrauche sich die Kraft, die ich durch dieses Schreiben gewinne und die ich zu diesem Ziel wahrhaftig nicht bestimmt habe

    Sobald Hr. Klug in eine neue Stadt kommt merkt man wie seine und seiner Frau Schmucksachen im Versatzamt verschwinden. Gegen die Abfahrt zu löst er sie langsam wieder ein Lieblingssatz der Frau des Philosophen Mendelssohn: Wie mies ist mir vor tout l'univers!

    Einer der wichtigsten Eindrücke beim Abschied der Fr. Klug war, daß ich immer glauben mußte, als einfache bürgerliche Frau halte sie sich mit Gewalt unter dem Niveau ihrer wahren menschlichen Bestimmung und bedürfe nur eines Sprunges, eines Aufreißens der Tür, eines aufgedrehten Lichtes, um Schauspielerin zu sein und mich zu unterwerfen. Sie stand ja auch wirklich oben und ich unten wie im Teater. - Sie hat mit 16 Jahren geheiratet, ist 26 Jahre alt.

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    2 XI 11 Heute früh zum erstenmal seit langer Zeit wieder die Freude an der Vorstellung eines in meinem Herzen gedrehten Messers.

    In den Zeitungen, im Gespräch, im Bureau verführt oft das Temperament der Sprache, dann die aus einer gegenwärtigen Schwäche geborene Hoffnung auf plötzliche desto stärkere Erleuchtung schon im nächsten Augenblick, oder starkes Selbstvertrauen ganz allein oder bloße Nachlässigkeit oder ein großer gegenwärtiger Eindruck den man um jeden Preis auf die Zukunft abwälzen will oder die Meinung, daß gegenwärtige wahre Begeisterung jede Zerfahrenheit in der Zukunft rechtfertige oder die Freude an Sätzen, die in der Mitte durch ein oder zwei Stöße gehoben sind und den Mund allmählich zu seiner ganzen Größe öffnen, wenn sie ihn auch viel zu rasch und gewunden sich schließen lassen oder die Spur der Möglichkeit eines entschiedenen auf Klarheit angelegten Urteils oder das Bestreben der eigentlich beendeten Rede noch weiterhin Fluß zu geben oder das Verlangen, das Thema in Eile zu verlassen wenn es sein muß auf dem Bauch oder Verzweiflung, die einen Ausweg für ihren schweren Athem sucht, oder die Sehnsucht nach einem Licht ohne Schatten - alle diese können zu Sätzen verführen, wie: "Das Buch das ich eben beendet habe, ist das schönste, das ich bisher gelesen habe oder ist so schön, wie ich noch keines gelesen habe. "

    Um zu beweisen, daß alles was ich über sie schreibe und denke falsch ist, sind die Schauspieler (abgesehen von Hr. und Fr. Klug) wieder hier geblieben, wie mir Löwy, den ich gestern abend getroffen habe, erzählte; wer weiß ob sie nicht aus dem gleichen Grunde heute wieder weggefahren sind, denn Löwy hat sich im Geschäft nicht gemeldet, trotzdem er es versprochen hat. Es gieng gestern noch der Sohn des Cafehauswirtes Hermann -

    3 XI 11 um zu beweisen, daß beides falsch war, was ich aufgeschrieben hatte, ein Beweis der fast unmöglich scheint, kam Löwy gestern am Abend selbst und unterbrach mich im Schreiben Die Gewohnheit Karls alles mit gleichem Stimmklang zu wiederholen. Er erzählt jemandem eine Geschichte aus seinem Geschäft zwar nicht mit so vielen Details daß sie an sich die Geschichte endgiltig erledigen würden, aber immerhin in einer langsamen und nur dadurch gründlichen Weise als eine Mitteilung, die nichts anderes sein will und daher mit ihrer Beendigung auch abgetan ist.
    Ein Weilchen vergeht mit einer andern Sache, er findet unversehens einen Übergang zu seiner Geschichte und zieht sie in ihrer alten Form, fast ohne Ergänzung, aber auch fast ohne Weglassung wieder hervor, mit der Harmlosigkeit eines Menschen, der ein ihm meuchlings am Rücken angeheftetes Band im Zimmer umherführt. Nun lieben ihn meine Eltern besonders, fühlen daher seine

    Gewohnheiten stärker, als sie sie bemerken - und so trifft es sich, daß sie, meine Mutter vor allen, unbewußt ihm Gelegenheit zu Wiederholungen geben. Wenn der Augenblick für die Wiederholung einer Geschichte an einem Abend nicht recht kommen will, so ist die Mutter da, die frägt undzwar mit einer Neugierde, die selbst nach getaner Frage nicht aufhört, wie man erwarten sollte. Und hinter Geschichten, die schon wiederholt sind und aus eigener Kraft nicht mehr kommen könnten, jagt förmlich mit ihren Fragen die Mutter noch nach Abenden. Die Gewohnheit Karls ist aber eine so regierende, daß sie oft Kraft hat sich vollständig zu rechtfertigen. Kein Mensch

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