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Taken

Taken

Titel: Taken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Bowman
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Gray davon erfährt, wird er nach Antworten suchen. Er wird alles aufs Spiel setzen und damit riskieren, dass Du die Wahrheit nicht herausfindest. Und das musst Du. Du musst die Wahrheit an meiner Stelle finden, weil der Tod mich holen wird, bevor ich in der Lage sein werde, es selbst zu sehen.
    Und daher sage ich Dir jetzt Folgendes, mein Sohn: Du und Dein Bruder, Ihr seid nicht das, was zu glauben ich Euch beigebracht habe. Gray ist …
    Ich drehe den Brief um, doch es geht nicht weiter. Ich durchsuche die Bruchstücke auf dem Boden, aber das zweite Blatt, das zu dem ersten gehört haben muss, ist nicht mehr in dem Bilderrahmen versteckt. Ich lese den Brief erneut, einmal, zweimal, viele Male.
    Gray ist … Was bin ich? Ich renne ins Schlafzimmer und reiße die Truhe auf, die noch Blaines Besitztümer birgt. Ich durchwühle Kleidung und Gebrauchsgegenstände, bis meine Hände ein kleines, mit fester Schnur umwickeltes Tagebuch ertasten. Ich blättere es nach Daten durch und halte inne, als ich den Tag erreiche, an dem unsere Mutter gestorben ist. Blaines Eintrag ist kurz.
    Carter konnte mit ihrer ganzen Kunst nichts ausrichten, und Ma ist heute gestorben. Sie hat mir einen eigenartigen Brief hinterlassen. Zuerst hat er mich verärgert und verwirrt, aber vor allem wird mir klar, dass ich unglaublich vom Glück begünstigt bin – weil mein Bruder noch bei mir ist; Gray, den ich mit jedem Tag, der vergeht, höher schätze.
    Ich werfe das Tagebuch wieder in die Truhe und gehe zurück in die Küche, wo ich Mas alten Brief mit der Faust umklammere. Wie konnten sie es wagen, etwas geheim zu halten, das so eindeutig mit mir zu tun hat? Und was nun? Sie sind beide nicht mehr da, und ich stehe allein und ohne Erklärungen im Dunkel. Die Wahrheit, von der Ma hoffte, sie würde bei Blaines Raub enthüllt werden, bleibt weiter ein Rätsel. Besonders für mich.
    Ich lese den Brief noch einmal, und noch einmal, und als ich vor Groll und dem Gefühl, verraten worden zu sein, brodle, stürme ich aus dem Haus. Ich muss fort von dem Brief, so weit wie möglich, aber dann fallen mir Chalices Worte ein, die dazu geführt haben, dass ich ihn entdeckte, und ich komme nicht besonders weit.
    Ich stehe vor Maudes Haus, atme tief durch und lasse die blinde Wut zu Zorn und den Zorn zu Ärger abklingen, bevor ich an ihre Tür klopfe. Sofort öffnet sie und bittet mich herein.
    Maudes Haus ist eins der schönsten in der Stadt. Der Boden besteht aus Dielenbrettern statt gestampfter Erde, und an ihrem Spülbecken ist ein Hebel befestigt, mit dem man tatsächlich direkt Wasser pumpen kann. Als ich eintrete, pfeift ein Kessel auf ihrem Feuer, und der Duft nach frischem Brot hängt in der Luft.
    »Tee?«, fragt sie, während ich mich an den Küchentisch setze. Ich lehne ab, wenn auch vielleicht nicht so höflich, wie es angebracht wäre, und warte ab, bis sie sich eine Tasse heißes Wasser eingeschenkt und ihre Kräuter hineingegeben hat. Schließlich setzt sie sich zu mir an den Tisch und nippt vorsichtig an dem kochend heißen Gebräu.
    »Sie wollten mich sehen?«, frage ich.
    »Ja, ja. Ich habe einen Namen für dich.« Ich weiß, was das bedeutet, und ich will es nicht hören. Es ist das Letzte, woran ich im Moment denken möchte.
    »Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass ich mich eine Zeit lang nicht damit abzugeben brauche.«
    »Es ist jetzt fast drei Wochen her, Gray«, sagt sie. Der Dampf steigt von ihrem Tee auf, bildet einen filigranen Strudel vor ihrer Nase und verschmilzt mit ihrem weißen Haar, bevor er weiter auf die Decke zu schwebt.
    »Tatsächlich?«
    »Hmmm«, murmelt sie zustimmend.
    »Also, wer ist es dieses Mal?«, frage ich. Vor mir liegt ein weiterer Monat voller verlegener Förmlichkeit, in dem ich so offen Zeit mit einem Mädchen verbringe, dass Maude glaubt, ich schliefe mit ihr, und dann versuche, dasselbe Mädchen genau davon abzubringen, wenn sich die Gelegenheit tatsächlich bietet. Der zweite Teil ist manchmal schwieriger, als ich glaube, sogar angesichts der drohenden Aussicht, Vater zu werden.
    »Wenn du dich mit jemand Bestimmtem treffen möchtest, Gray, ist das in Ordnung«, erklärt sie. »Aber wenn wir sehen, dass auf natürliche Weise nichts entsteht, müssen wir planen.«
    Wenn die Treffen nicht unter so viel Druck stattfänden und so offiziell verordnet würden, dann würde vielleicht von selbst etwas entstehen. Aber für mich fühlt sich das so an wie damals, als ich ein kleiner Junge war. Ma hatte Blaine und

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