Taken
lache leise. »Und ja, ich war ehrlich.«
Wieder sieht sie mich so an, genau wie vorhin im Krankenhaus. Ich kann ihren Blick immer noch nicht deuten.
»Ich hasse die Zuweisungen«, sagt sie.
»Ich auch.«
»Wie viele hast du hinter dir?«
»Das willst du gar nicht wissen.« Ich kann sie an zwei Händen abzählen. Es sind mehr, als ich ihr gegenüber zugeben mag, obwohl es lange her ist, seit ich mit jemandem geschlafen habe. »Und du?«
»Nur eine.« Dann stimmen die Gerüchte also nicht. Emma hat schon einmal eine Zuweisung angenommen. »Erinnerst du dich an Craw Phoenix?«, fragt sie.
Ich nicke. Er ist vor ungefähr eineinhalb Jahren geholt worden.
»Ich hatte ihn gern«, fährt sie fort. »Und ich meine, richtig gern . Dieser Monat war so schön, dass ich aus irgendeinem Grund dachte, es würde so weitergehen und zwischen uns wäre etwas. Keine Ahnung, was. Es war wirklich dumm. Ich hätte mich ihm gern weiter zuteilen lassen, aber ich schätze, das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit. Zwei Wochen später hat er sich mit Sasha Quarters getroffen, und dann war er ganz fort.«
»Wir alle sind irgendwann fort«, sage ich. »Das ist zum Teil auch der Grund, aus dem ich es hasse. Ich sehe keinen Sinn hinter diesen ganzen Plänen, bei denen die Menschen nur so herumgeschoben werden. Ich habe nur Zeit, bis ich achtzehn werde. Lieber möchte ich etwas Gutes finden, mit dem ich mich wohlfühle, und dabei bleiben.«
Sie lächelt mich schief an. »Du meinst, mit einer einzigen Person zusammen sein? Also, länger, als man ihr zugeteilt ist?«
»Vergiss die Zuweisungen. Tu so, als gäbe es keine Zuweisungen, keine Regeln, kein Claysoot, und dann, ja, ein einziger Mensch. Für immer. Klingt das für dich komisch?«
Einen Moment lang herrscht Schweigen. Ich weiß, dass es eine merkwürdige Frage ist, vollkommen hypothetisch und weit hergeholt, und kurz befürchte ich, dass sie über mich lachen wird.
»Weißt du, manche Bussarde binden sich für das ganze Leben«, sagt sie. Sie beißt sich auf die Lippen und schaut wieder über das Wasser hinaus. Es wirkt wie eiskaltes Silber, das sich über die Erde ergießt, und das Tal wirft blaue Schatten über seine Tiefen.
»Wirklich?«
»Ja, die Rotschwanzbussarde. Mein Onkel und ich haben sie hier jedes Jahr gesehen. Sie kommen immer zurück und immer dieselben Paare. Wenn die Vögel sich einen Partner für das ganze Leben wählen, warum können wir das dann nicht?«
Einen Moment lang komme ich mir dumm vor. Jeden Tag verbringe ich Stunden in den Wäldern, und trotzdem ist mir das mit den Bussarden noch nie aufgefallen. Andererseits habe ich auch nicht Ausschau danach gehalten.
»Vielleicht paaren sich ja manche Tiere fürs Leben und andere nicht«, meine ich. »Vielleicht ist es uns nicht bestimmt, wie die Vögel zu sein.«
»Aber vielleicht doch.«
Sie sieht so hübsch aus, wie sie da sitzt und Grashalme zwischen ihren gebräunten Fingern dreht. Ich frage mich, ob wir die einzigen Menschen sind, die sich das wünschen, die sich danach sehnen, die Zuweisungen und Vorschriften zu ignorieren und sich etwas zu suchen, das sich richtig anfühlt. Jetzt mache ich es schon wieder: Ich denke mit den Gefühlen in meiner Brust, statt meinen Kopf zu gebrauchen. Wenn wir wie die Vögel wären, würden wir innerhalb von Jahrzehnten aussterben, sobald alle Männer fort wären. Trotzdem wünsche ich mir, es wäre möglich, wünsche mir, ich wäre ein Vogel und Emma auch, und wir könnten davonfliegen, ohne zurückzusehen.
»Du bist wirklich ganz anders als er«, sagt Emma. Ihre Worte reißen mich aus meinen Gedanken, und ich stelle fest, dass sie mich ansieht. Wieder dieser forschende Blick, den ich nicht deuten kann. »Als Blaine«, erklärt sie.
»Ich weiß, ich weiß. Er ist freundlich und verantwortungsbewusst, und ich bin unbesonnen. Er denkt alles durch. Ich reagiere.«
»Ja, ich weiß, aber ich finde, das ist nicht unbedingt schlecht. Vielleicht ist es gut, einfach zu reagieren und sich nicht zu viele Gedanken über alles zu machen. Wenn wir wild und frei wären wie die Vögel, würdest du überleben, aber Blaine wahrscheinlich nicht. Er würde viel zu viel darüber nachdenken, es allen recht zu machen und immer fair zu sein.«
»Klingt, als wäre ich ziemlich egoistisch.«
»Nein, das meine ich nicht.« Nervös knetet sie ihre Finger. »Was ich auszudrücken versuche, ist das: Ich glaube, es ist bestimmt nicht immer einfach, zu tun, was man empfindet , aber wenigstens
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