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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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ein großes Stück fruchtbares Land abgekauft. Zusätzlich zum Zuckerrohr wollte Elisas Vater dort ursprünglich noch eine Obstplantage für den Handel mit Äpfeln aufziehen. Äpfel seien schonender anzubauen als Zuckerrohr, hatte er gesagt, weil die Arbeiter dabei nicht so geschunden werden müssten.
    Elisa konnte nicht anders, sie musste erneut zu den schönen braunen Männerkörpern hinsehen, die auf das Schiff zupaddelten. Waren das die geschundenen Arbeiter, von denen ihr Vater gesprochen hatte?
    »Vergiss den großen Felsen dort nicht. Vater hatte davon erzählt. Erinnerst du dich? Dort halten die Eingeborenen ihre Feste ab.«
    Elisa nickte. »Das Tal der Tausend Nebel, so heißt das Gebiet unterhalb des Felsens. Keine Weißen sind dort erlaubt, weil dort geheime Rituale stattfinden …«
    Sie war jetzt konzentriert mit ihrer Skizze beschäftigt. Ihre geübte Hand glitt flink mit dem Grafit über das raue Büttenpapier. Die ungewöhnliche Felsformation hatte es ihr angetan. Eine tiefe Spalte in der Mitte war dicht mit Vegetation überzogen. Sie wirkte von Ferne einladend, fast wie ein weiches, smaragdgrünes Kissen.
    Elisa erinnerte sich an die Worte ihres Vaters, als er ihnen nach seiner letzten Reise von diesem Ort erzählt hatte. An dem großen Felsen fanden die Hochzeiten der Arbeiter statt. Es waren heidnische Vermählungsrituale. Unter freiem Himmel, begleitet von Trommeln und Tänzen, paarten sich nackte Eingeborene bei Vollmond. Wie die Tiere seien sie, gänzlich ohne Moral und Anstand, so waren seine Worte, begleitet von einem Augenzwinkern, da seine Frau ihn schnell zum Schweigen brachte. Das waren keine Themen für ein unschuldiges kleines Mädchen.
    Die beiden Kanus waren jetzt so nah, dass Elisa viele Details ausmachen konnte. Vor allem einer der jungen Männer war atemberaubend schön gewachsen. Sein Oberkörper erinnerte Elisa an die antiken griechischen Statuen im Museum. Im Rahmen des Kunstunterrichts hatte sie in Hamburg Aktzeichnen geübt. Der junge Hawaiianer musste groß sein. Seine Muskeln spannten sich beim Paddeln, seine Schultern waren gerade, wie mit dem Lineal gezogen. Den Kopf hielt er auf seinem langen Nacken stolz erhoben. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von fast heiligem Ernst. Kein junger Arbeiter in Hamburg hatte eine derartig würdevolle Ausstrahlung. Königlich würde Elisa seine Erscheinung nennen, wenn das angebracht wäre. Aber gab es denn Adlige auf Hawaii?
    Sie wusste von ihrem Vater, dass die Deutschen das Königshaus der Hawaiianer nicht anerkannten. Lili’uokalani, die jetzige Königin Hawaiis, war selber zur Hälfte Europäerin. Zudem musste sie sehr gebildet sein und hatte auf dem amerikanischen Festland studiert, was äußerst ungewöhnlich für eine hawaiische Frau war. Dennoch hatten die Plantagenbesitzer beschlossen, sie zu ignorieren. Was diese Königin verlangte, nämlich Schulbildung für ihr ganzes Volk, vor allem aber eine gleichberechtigte Behandlung der Frauen, schien einfach absurd. Die Hawaiianer sollten auf den Plantagen arbeiten, auch die Frauen und Kinder, um die stetig wachsende Nachfrage nach Kaffee und Zucker zu stillen. Bei zwölf Arbeitsstunden täglich war keine Zeit für Schulbildung übrig.
    Den Anblick des schönen jungen Wilden musste Elisa auf alle Fälle in ihrem Büchlein festhalten. Fieberhaft skizzierte sie seine Schultern, die Neigung seines Kopfes, den langen Hals. Plötzlich sah die Mutter ihr über die Schulter.
    »Nicht den Wilden, sondern die Landschaft!« Obwohl die Stimme der Mutter leise war, hörte Elisa den scharfen, tadelnden Unterton. Elisa seufzte. Auch wenn sie sich täglich bemühte, gerieten sie in letzter Zeit immer häufiger aneinander. Nach Monaten an Bord war es dringend an der Zeit, dass Elisa wieder mehr ihre eigenen Wege gehen konnte. Mit neunzehn Jahren war sie nicht mehr das kleine Mädchen, das sich einfach unterordnen konnte.
    Ihre Mutter sah sie kritisch an. »Du verbrennst in der Sonne. Hatte ich dir nicht gesagt, du solltest deine Haut immer bedecken, wenn du an Deck gehst. Wo ist deine Haube?«
    Elisa hatte sie zusammen mit ihrem Umhang beiseitegelegt, weil es ein lauer Abend war und sie ohnehin keine Vorliebe für Hauben hatte. Sie störten beim Zeichnen. Aber das ließ ihre Mutter nicht gelten. Energisch versuchte sie, ihr die Haube jetzt aufzusetzen, doch Elisa tauchte mit einem Lachen unter ihr weg.
    »Lass das, Mutter! Jetzt kann die Sonne meiner Haut nichts mehr tun, und außerdem stört sie

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