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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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würde nicht wollen, dass du dich wegen ihm zu Tode grämst. Er will, dass wir beide hier auf Kauai glücklich werden, wenn er schon nicht mehr bei uns sein kann.«
    Die Mutter nickte. Einen Moment lang wirkte sie fast weich und kindlich neben ihrer starken Tochter. Fest umschlungen sahen sie jetzt beide mit klopfenden Herzen hinüber zu den Ufern der geheimnisvollen Insel in der Abendsonne. Ab morgen würde Kauai ihre neue Heimat sein.
    Die Schiffsglocke läutete. Die Bremen III ließ scheppernd ihren Anker zu Wasser. Ein wenig beunruhigt sah Elisa zu den beiden Kanus, die inzwischen fast beim Schiffsrumpf angekommen waren. Wie klein und wenig verlässlich sie in den Wellen wirkten. Die braunen Männer ließen ihre Paddel ruhen und warteten darauf, dass der Anker seinen Platz im Riff fand, während die Ankerkette sich spannte. Kleine Schaumkronen bildeten sich auf dem Meer, so weit Elisa sehen konnte. Die Wellen waren durch den Abendwind aufgewühlt. Einige von ihnen waren schon so hoch, dass die beiden Kanus kurz aus Elisas Blickfeld verschwanden. Wie Nussschalen wurden sie hin und her geworfen. Aufschäumende Gischt zeichnete nasse Spuren auf das goldene Braun der Muskeln.
    Der junge Wilde, der ungefähr in Elisas Alter sein musste, hatte Freude an dem Wellengang. Lebhaft unterhielt er sich mit dem Älteren in seinem Kanu. Elisa konnte sehen, wie beim Lachen seine Zähne blitzten. Dann stellte er sich kurz auf, um einem dritten Kanu zuzuwinken, das sich dem Schiff näherte. So konnte Elisa seinen Körper ganz sehen und war hingerissen von seiner Schönheit. Er war nicht ganz nackt. Um seine Lenden trug er ein gewickeltes Tuch, das bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Lange, kräftige Beine endeten in einem muskulösen Hinterteil, das eine ungewöhnlich ausgeprägte Wölbung hatte. Elisa lächelte. Es war wirklich der Körper eines griechischen Kouros, nur höher gewachsen. Der junge Mann war sehr groß, wie sie jetzt sehen konnte. Sie schätzte ihn auf fast zwei Meter. Immer noch gestikulierte er lebhaft in Richtung des dritten Kanus. Lächelnd zeigte er auf eine große Welle und machte den beiden Ruderern Zeichen. Sie sollten die Welle lieber seitwärts als frontal nehmen. Seine Bewegungen waren von einer Anmut, wie Elisa sie nie zuvor bei einem Mann gesehen hatte. Wie wohl sein Name war?
    Ein schriller Pfiff. Das dritte, deutlich größere Kanu, holte schnell auf, nachdem es die große Welle seitlich genommen hatte. In dem großen Lastkanu saß zwischen den rudernden Eingeborenen ein fetter Weißer, der eine Trillerpfeife im Mund hatte. Der Mann war stark übergewichtig, trug einen zu engen Tropenanzug, und sein Gesicht glänzte rotspeckig in der Abendsonne. Ungehalten machte er dem jungen Wilden in dem kleinen Kanu ein Zeichen und schrie etwas zu ihm hinüber. Elisa meinte das Wort Kanaka zu hören, eine abfällige Bezeichnung für Hawaiianer. Der junge Mann sollte sich hinsetzen und weiter in Richtung Schiff paddeln. Der schöne Wilde gehorchte wortlos, aber Elisa meinte Verachtung in seinen edlen Zügen zu erkennen. Soweit sie das auf die Entfernung beurteilen konnte, hatten der Weiße und der junge Hawaiianer nicht gerade eine freundschaftliche Beziehung. Sie sah genauer hin. Nein, dieser Weiße mit dem Schweinegesicht war auch nicht ihr Onkel Paul, sondern wahrscheinlich der Verwalter der Plantage, ein Holländer mittleren Alters, von dem Elisas Vater ihr einiges erzählt hatte. Die Mutter seufzte. Clementias Schwager war also nicht persönlich gekommen, um sie abzuholen. Elisa spürte die Enttäuschung ihrer Mutter, noch bevor sie die verbitterten Worte vernahm.
    »Paul hätte wirklich selber kommen können. Es ist Zumutung genug für uns Frauen, mittels Kanus an Land gehen zu müssen, anstatt wie üblich den Hafen anzulaufen. Was denkt sich dein Onkel eigentlich, wie stabil meine Nerven sind?«
    Elisa wusste, warum ihre Mutter so ungehalten war. Seit Tagen hatte sie sich bereits Sorgen darüber gemacht, dass sie an keinem vernünftigen Hafen von Bord gehen würden. Wegen der befürchteten Unruhen am Hafen der kleinen Hauptstadt Lihue mussten sie die übliche Route nach Kauai verlassen. Die Bremen III würde so lange in Hanalei Bay vor Anker liegen müssen, bis alle Güter ausgeladen waren und die beiden Frauen das Ufer erreicht hatten. Aber der imposante Dreimaster konnte nicht sehr nah ans Ufer, denn gefährliche Riffe säumten die Bucht zu beiden Seiten. Es war zu riskant.
    Der Kapitän hatte mit der

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