Tal der Tausend Nebel
mich.«
Aber ihre Mutter schüttelte den Kopf und stemmte ihre Hände in die Hüften, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
»Du ruinierst dir nicht nur deine zarte Haut, sondern auch deinen guten Ruf. Wenn dein Onkel Wort gehalten hat, wirst du im kommenden Jahr heiraten. Und auch wenn europäische Frauen auf Kauai Mangelware sind, wird dein Zukünftiger bestimmt Wert auf einen untadeligen Ruf legen. Eine wohlerzogene junge Dame mit Anstand kann sich weder braune Haut noch Sommersprossen leisten!«
Elisa zuckte zusammen. Die Liebe hatte bis jetzt in ihrem Leben noch keine Rolle gespielt. Aber das Thema Männer war in letzter Zeit öfter auf den Tisch gekommen. Sie wusste, dass ihr Onkel auf den Inseln bereits nach einem passenden Ehemann für sie Ausschau hielt. Deutscher sollte er sein, wenn möglich ebenfalls kultiviert und aus einer großen deutschen Stadt stammend. Aber vor allem spielte Wohlstand eine entscheidende Rolle, wenn unter den europäischen Plantagenbesitzern geheiratet wurde. Elisa war die einzige Erbin des Plantagenanteils ihres Vaters und somit keine schlechte Partie, wenn es auch weit bessere Zeiten gegeben hatte.
Um nicht weiter auf ihre Mutter eingehen zu müssen, beugte Elisa sich wortlos tiefer über ihre Zeichnung. Sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, in nächster Zeit zu heiraten. Auch konnte sie sich gar nicht vorstellen, ein Leben als Ehefrau und Mutter zu führen. Immer hatte sie ihren Vater bewundert, weil er frei und unabhängig in der Welt unterwegs sein durfte, wohingegen sie die häusliche Rolle ihrer Mutter eher als bemitleidenswert empfand. Aber Clementias Wortschwall war noch keineswegs zu Ende. Gerade weil Elisa sie ignorierte, geriet ihre Mutter in Fahrt.
»Deine Haare sind zu wild, um sie nur mit einem Band im Nacken zusammenzuhalten. Wie oft habe ich dir das schon gesagt, junge Dame? Ab jetzt nur noch mit Zopf oder Steckfrisur in der Öffentlichkeit. Du bist seit ein paar Tagen neunzehn Jahre alt, und als ungezähmte Wilde findest du auch in der Südsee keinen passenden Mann. Willst du deinem Vater das antun? Er würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er dich so sehen könnte!«
Energisch hatte ihre Mutter begonnen, die Haube aus weißer Baumwolle trotz des Windes auf Elisas wilder Mähne festzuzurren. In Elisa kam mit einem Mal all das hoch, was sie in der Enge des Schiffes mühsam unterdrückt hatte. Wütend funkelte sie ihre Mutter an.
»Was weißt du schon, was Vater für mich gewollt hätte! Immer hat er mir beigebracht, dass ich alles erreichen kann, was ich will, wenn ich nur meinen Verstand benutze. Und was willst du aus mir machen? Nur ein … ein erbärmliches, dummes Hausmütterchen!«
Elisa richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, sodass sie ihre Mutter überragte. Sie war so wütend, dass sie Clementia am liebsten an der Reling hätte stehen lassen. Aber etwas in ihr brachte das nicht fertig. Sie wusste, wie fragil ihre Mutter im Grunde genommen war, auch wenn sie es oft nicht zeigen konnte. Deshalb zügelte Elisa ihren harschen Ton.
»Tut mir leid, Mutter, aber es ist unser letzter Tag auf dem Schiff! Ich will jetzt keine Haube tragen. Und vielleicht will ich auch in Zukunft meine Haare tragen, so wie ich es möchte. Wenn Onkel und du denken, dass ich alt genug für die Ehe bin, dann darf ich wohl auch über meine Frisur selber entscheiden!«
Die Stirn der Mutter hatte sich in ungehaltene Falten gelegt.
»Aber noch bist du nicht mit einem Mann verheiratet, der deine moderne Vorstellung vom Leben einer Ehefrau und Mutter teilt. Zudem soll die Frau deines Onkels viel Wert auf Anstand legen, also lass jetzt das Zappeln. Bitte, Kind, lass dich noch eine kleine Weile von mir beraten. Ich will doch nur dein Bestes … bitte!«
Zu gerne hätte Elisa in Ruhe die Skizze von dem jungen Wilden beendet, aber gegen den flehenden Blick der Mutter hatte sie sich noch nie gut wehren können. Zudem zerrte der auffrischende Abendwind jetzt an Elisas wilder Lockenpracht, die ihr bis an die Hüfte reichte. Nur von einem losen Band gehalten, wehten die Haare wie ein Schleier um ihr Gesicht.
»Siehst du Kind, bei dem Wind sind sie doch gleich wieder verfilzt. Du hältst jetzt bitte still!«
Mit flinken Händen flocht die Mutter der Tochter einen einfachen Zopf. Dann zog sie Elisa die Haube über den Kopf. Zuletzt machte sie ihr eine große Schleife unterm Kinn. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk.
»Viel besser. So gehört es sich für eine junge Dame. Denk
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