Tal der Traeume
sich zu lösen, doch einige konnten mit aller Kraft neu beginnen. Möchten Sie eine von diesen sein?« Sie nickte geistesabwesend. »Dann gehen wir den Weg zusammen. Wir schreiten gemeinsam von der Dunkelheit ins Licht. Sind Sie bereit, Schwester Oatley? Besitzen Sie die Stärke, mit mir zu kommen? Die Lasterhöhle hinter sich zu lassen? Weiche von mir, Satan! Sagen Sie das, wenn wir jetzt gemeinsam aufstehen.« Er hob sie auf die Füße. »Höre ich es?« »Weiche von mir, Satan«, wiederholte sie. Er ging mit ihr zur Haustür. Sie war so groß wie er, doch er musste sie mit starkem Arm und der Kraft Gottes stützen. Ein chinesischer Diener kam angelaufen. »Wo Missy hingehen?« »Tritt beiseite!«, befahl Walters. »Missy braucht Mantel!« »Mrs. Oatley braucht gar nichts von hier. Gib mir meinen Regenschirm.« »Regen hat aufgehört«, sagte der Chinese, gab ihm aber den Schirm. Er schaute seine Herrin an. »Alles gut, Missy?« Sie winkte ihn zur Seite und taumelte am Arm des triumphierenden Missionars in die graue, wolkenschwere Dämmerung hinaus. Er würde sie zur Missionsstation bringen und den beiden dort wohnenden Novizinnen übergeben. Sie konnte mit ihnen im Bungalow leben und ihr frugales Leben teilen. Er bildete die Novizinnen zu Laienschwestern aus; sie würden Harriet den Weg zum rechten Leben weisen.
Schwester Minto, eine reife, harte Schottin, die erst kürzlich zu ihnen gestoßen war, würde als ihre Mentorin fungieren. Mrs. Oatley war ein typisches Beispiel dafür, wie tief diese reichen Leute sinken konnten. Eine Frau, die im Luxus geschwelgt hatte, Ausschweifungen als selbstverständlich betrachtete und nur gerettet werden konnte, indem sie ihr ganzes Leben radikal änderte. Indem man sie zu den wesentlichen Dingen zurückführte, zum bewährten, klösterlichen Lebensstil. Obwohl der Missionsbungalow, der den beiden Frauen als Heim diente, kaum als Kloster bezeichnet werden konnte, war ihr Leben, das aus Gebet, Buße und guten Taten bestand, ganz und gar dem Herrn geweiht, und sie begrüßten die Entsagungen, die er ihnen auferlegte. Harriet stützte sich noch auf seinen Arm, als sie durch die schlammigen Straßen liefen. Walters war ihre Krücke, ihr Halt, von Gott geschickt, um sie aus dem Mahlstrom zu retten, in den sich ihr Leben verwandelt hatte. »Preis dem Herrn«, murmelte er, als sie an seinem Wohnhaus vorbeikamen. »Es ist nicht mehr weit, Schwester, und der Herr erwartet Sie mit offenen Armen. Er liebt Sie, Schwester.« Hinter der Kirche bog er mit ihr auf einen Buschpfad ab, über dem sich tropfendes Laub wie ein Baldachin wölbte. Sie folgte ihm demütig wie ein Lamm. Der abgeschiedene Bungalow war ein idealer Zufluchtsort und im Grün des Dschungels kaum erkennbar, so dass die Frauen nicht durch unerwünschte Besucher von ihrer Arbeit abgehalten wurden.
Obwohl ihre religiösen Pflichten vorrangige Bedeutung hatten, bestand der Reverend darauf, dass sie ihren Lebensunterhalt durch die Herstellung von Seife und Kerzen verdienten, die an der Kirchentür verkauft wurden. Ihr Tagesplan ließ ihnen keine Zeit zum Müßiggang. Schwester Minto, ein magere Frau in einem verblichenen, schwarzen Kleid, trat aus dem Haus und trocknete sich die Hände an der Schürze ab, um sie begrüßen. »Guten Abend, Reverend, wen haben wir denn da?« »Das ist Schwester Oatley. Sie möchte sich Ihrer Gemeinschaft anschließen«. »Heute gibt es nicht viel Gemeinschaft. Ich habe schon nach Ihnen gesucht, Schwester Tolley ist wieder weggelaufen. Zu ihrer schwachsinnigen Familie.« Er seufzte. »Ich werde mit ihr reden. Würden Sie mit Schwester Oatley hineingehen und ihr alles zeigen? Sie ist sehr müde, morgen dürfte es ihr besser gehen. Danach möchte ich mit Ihnen reden.« Noch zwitscherten und zeterten die Vögel, bevor sie ihre Nester für die Nacht aufsuchten, und einige Flughunde sausten über seinen Kopf. Walters ging zur Seite des Hauses und klopfte an den eisernen Wassertank, der sich endlich wieder füllte. Minto hatte während der Trockenzeit Wasser kaufen wollen, doch er hatte derartige Extravaganzen untersagt und die Frauen stattdessen mit Eimern ausgestattet, in denen sie sich Wasser aus seinem Haus holen konnten. Die Schwester kam heraus. »Was ist los mit dieser Frau? Sie ist völlig schlaff und leblos. Sitzt nur da und starrt in die Gegend.« »Kein Wunder«, meinte er munter, »sie hat ein tiefes Erlebnis mit Jesus gehabt, eine schmerzhafte Erfahrung. Sie hat sich aus einem sündigen
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