Tal der Traeume
Misstrauen war geweckt. »Sicher, Madam, doch nun stelle ich hier die Fragen. Sagen Sie mir bitte, wann genau das Kind zu Hause erwartet wird, so dass ich umgehend kommen und mich davon überzeugen kann, dass es sich in guten Händen befindet.« »Das erfahren Sie zu gegebener Zeit«, antwortete sie schnippisch. »Nein, ich will es jetzt wissen, sonst übergebe ich die Angelegenheit Mr. Cavendish. Das Kind befindet sich nach wie vor unter Polizeischutz, und es ist meine Pflicht, dem Sergeanten Meldung zu erstatten.« »Tun Sie das bitte nicht«, bat Sibell. »Dann holen sie ihn her.« »Das geht leider nicht.« Er seufzte und zuckte die Achseln. »Unter diesen Umständen muss ich mich auf den Weg machen.« Sibell Hamilton achtete nicht auf Maudies warnenden Blick. »Mr. Walters, ich möchte mich entschuldigen, falls ich Ihnen Umstände bereite, aber wir haben ein Problem, das ich Ihnen gern erklären werde. Sie müssen jedoch versprechen, es zumindest einige Tage vertraulich zu behandeln. Es ist eine ernsthafte Angelegenheit, und wir wären für Ihre Unterstützung dankbar.« Schon besser, sie schienen zur Vernunft zu kommen. Was hatten sie getan? Jemand anderem das Kind aufgehalst? Offensichtlich gab es in dieser Familie auch Probleme. Hatte es da nicht ein Gerücht gegeben, sie wolle ihren Mann verlassen? Woher stammte es doch gleich? Natürlich… er hatte es von Christy Cornford gehört. Und dann der andere Skandal mit Myles Oatley. Er hatte Lucy verschmäht, und jetzt machte Cornford ihr den Hof. »Selbstverständlich, meine Liebe. Sie können sich auf mich verlassen. Sagen Sie mir, was Sie bedrückt.« Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und wartete darauf, dass man ihn in die Geheimnisse der Hamiltons einweihte. Was er zu hören bekam, entsetzte ihn, doch er unterdrückte jegliche Missfallensäußerung, vor allem gegenüber Maudie Hamilton, die sich offenbar wieder bei ihm einschmeicheln wollte und mit einer Kanne Tee und einigen Scheiben ihres so genannten Vorweihnachtskuchens herbeieilte. Der Kuchen schmeckte köstlich, und Walters gratulierte ihr dazu. Nachdem man ihn eingeweiht hatte, verkündete er salbungsvoll und mit ernster Miene: »Ich bin so froh, dass Sie sich mir anvertraut haben. Das hätten Sie gleich tun sollen. Ich verstehe Ihre prekäre Lage. Wie furchtbar, dass sich der arme Mr. Oatley in den Händen dieses Schurken befindet. Aber Sie müssen dennoch verstehen, dass Sie dieses Kind dem Herrn entzogen haben und die Polizei um die Chance bringen, einen Mörder zu fassen. Wie viele Leben wird wohl dieses übereilte Abenteuer kosten?« »Es war unsere einzige Chance, Mr. Oatley zu retten«, gab Sibell zu bedenken. »Wir alle haben die Aufgabe, ihm zu helfen, und ich möchte Sie um Verständnis bitten. Wir wollten Sie nicht hintergehen, aber nicht in die Geschichte hineinziehen. Daher war es besser, diesen Weg einzuschlagen. Ich möchte Sie bitten, niemandem etwas davon zu sagen, bevor wir von Zack gehört haben. Ich habe keine Ahnung, was seither geschehen ist oder ob sie Boomi überhaupt abgeliefert haben.« Sie hatten ihm das Kind tatsächlich unter der Nase weggestohlen! Ihn zum Narren gehalten! Für wen hielten sich diese Leute mit all ihrem Geld? Standen sie etwa über dem Gesetz? Und über dem Herrn? Ihre Eitelkeit war eine schwere Sünde. Er lauschte ihren Dankesbezeugungen, ihrer himmelschreienden Heuchelei, und nickte feierlich wie beim Gebet. Dann verließ er das Haus, nachdem er den angebotenen Mantel ausgeschlagen hatte, trat in den reinigenden Regen hinaus und rief den Herrn an, er möge seinen Gleichmut in dieser Lasterhöhle wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Wenn er von dem endlosen Regen absah, kam er sich beinahe vor wie Jesus, der in die Wüste gegangen war, umgeben von den Teufeln der Versuchung, und dennoch nicht von seiner Pflicht abgewichen war. Er würde die Demütigung, das Kind verloren zu haben, und sogar den Zorn der Polizei hinnehmen, auf dass ihn der Vater im Himmel liebte. Doch nun musste er Cavendish umgehend davon in Kenntnis setzen. Zunächst aber suchte er Mrs. Oatley auf.
Harriet führte Reverend Walters, der wie eine nasse Vogelscheuche aussah, ins Wohnzimmer. Die Störung ärgerte sie, sie hatte schon genug Sorgen, ohne ihn auch noch unterhalten zu müssen. Zähneknirschend bot sie ihm einen Platz an. »Ich stehe lieber. Ich bin in einer dringenden Angelegenheit hier, Schwester Oatley, und falls Sie meinen, dass es dabei um den
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