Tal ohne Sonne
Hoffnung, Miss Leonoras Vater wiederzufinden.«
»Mag sein.« Kreijsman prostete Sir Anthony mit dem Sherryglas zu. »Aber mich reizt dieses Rätsel. Wenn Miss Patrik mich mitnimmt –«
»Bestimmt nimmt Leonora Sie mit«, antwortete Lambs etwas grob. »Sie sucht ja Verrückte.«
Kreijsman war weit davon entfernt, beleidigt zu sein. Er grinste, trank sein Glas leer und sprang auf, als Leonora die Bibliothek betrat. »Sie sind Miss Patrik, nicht wahr?« rief er überschwenglich. »Mein erster Blick sagt mir schon: Sie schaffen es!«
Es wurde ein Nachmittag mit viel Worten und noch mehr Plänen. Nachdem Kreijsman wieder gegangen war, lehnte sich Lambs in seinen Korbsessel auf der Terrasse zurück. »Es ist hochinteressant, Spinnern wie euch zuzuhören«, sagte er voll Sarkasmus. »Mit dem Mund habt ihr das Unbekannte bereits erobert. Ich sage Ihnen, Leonora: Es wird alles anders werden, als Sie planen. Und wenn Sie noch so viele Risiken einkalkulieren: Dort in den undurchdringlichen Urwäldern gibt es Probleme, die man nicht voraussehen kann, die man nach menschlichem Ermessen für unmöglich hält. Aber es gibt sie, denn dieses Land übertrifft jede Phantasie.«
Nach zehn Tagen intensiver Vorbereitung, der Aufstellung langer Listen, des Zusammentragens der Expeditionsausrüstung und des Kaufs von Fleisch in Dosen und von Fertiggerichten, vakuumverpackten Lebensmitteln und Kaffee und Tee, Trinkwasserfiltern und vor allem einer umfangreichen Medikamentensammlung für alle möglichen Krankheitsfälle – sogar eine Notoperationseinrichtung stellte Leonora zusammen, mit einem vollkommenen chirurgischen Besteck, bei dem nichts fehlte –, nach dem Kauf der vielen hundert Dinge, die man für nötig erachtete, sagte Sir Anthony eines Abends: »Es ist erhebend und geradezu überwältigend mitanzusehen, was man alles für eine Expedition braucht. Es kommt ein ganzer Güterwagen zusammen. Ich frage mich bloß: Wie wollt ihr das alles mitschleppen, wenn ihr euch Meter um Meter durch den Urwald schlagen müßt?«
»Wir werden ein Basislager einrichten, das man auf dem freigeschlagenen Weg schnell erreichen kann. Und dann rückt das Basislager immer weiter vor, von Woche zu Woche. Wir haben ja Zeit, Sir Anthony, wir sind von keiner Uhr mehr abhängig.«
»Und so gehen die Monate dahin, unwiederbringliche Monate, sinnlos vertan. Ich weiß nicht, warum ich Sie nicht einfach in den Keller sperre und allen sage, Sie seien plötzlich wieder abgereist. Hätten Angst bekommen vor den Schwierigkeiten, die Sie jetzt erst, hier vor Ort, erkannt haben. Jeder würde das glauben.«
»Wie lange, glauben Sie, leben Sie noch, Sir Anthony?« fragte Leonora. Ihr Lächeln war ehrlich und nicht gequält.
»Ich bin jetzt zweiundsiebzig.« Sir Anthony blickte in den Himmel. »Wenn Gott will, kann ich neunzig werden. Also noch achtzehn Jahre!«
»Sie wollen mich also achtzehn Jahre lang in Ihren Keller sperren?«
General Lambs starrte sie entgeistert an, lachte dann auch und beugte sich zu ihr hinüber. Er küßte sie auf die Stirn. »Ich gebe mich geschlagen, Leonora. Ein alter General muß wissen, wann er kapitulieren muß. Dennoch halte ich das alles für idiotisch.«
Fred Kreijsman war nicht der einzige, der in Port Moresby aktiv wurde, als sich die Kunde von der genehmigten Expedition ins unbekannte zentrale Hochland verbreitete. Nacheinander meldeten sich verschiedene Bewerber, die sich dem Unternehmen anschließen wollten. Sir Anthony empfing sie alle, irgendwie fasziniert von diesen Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, bereit waren, ihr Leben wegzuwerfen.
Da erschien der Deutsch-Amerikaner John Hannibal Reißner, ein einunddreißigjähriger stämmiger Bursche mit einem schwarzen Lockenkopf und muskelbepackten Armen. Er nannte sich Fotograf, hatte auch eine Kamera um den Hals hängen und trug einen Leichtmetallkoffer mit Objektiven und anderem Kamerazubehör, aber Sir Anthony ahnte, daß dieses Köfferchen der einzige Besitz Reißners war. Schon eine zweite Hose wäre ein Luxus gewesen – die ausgebleichten, geflickten Jeans sahen nach Dauergebrauch aus.
John Hannibal Reißner kam ins Haus und begrüßte Sir Anthony wie einen alten Kumpel. Er lachte laut, klopfte ihm auf die Schulter, sagte: »Hallo, Tony!« und blickte Leonora zuerst auf die Brust und dann erst ins Gesicht. »Wenn Sie Referenzen verlangen«, rief er ohne Einleitung, »stelle ich Ihnen mein Dia-Archiv zur Verfügung: Afrika, Australien, Alaska,
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