Tallinn-Verschwörung
Täuberich ihn an.
Er konnte nicht begreifen, was Kranz dazu trieb, so zu reden. Dann sah er den flackernden Blick seines Vorgesetzten und begriff, dass dessen Gehirn die Anspannung nicht mehr hatte ertragen können. Kranz war verrückt geworden. Jetzt machte Täuberich sich Vorwürfe, weil er nicht besser auf den Monsignore achtgegeben hatte. Er hatte die Anzeichen beginnenden Wahnsinns schon wahrgenommen, aber das Problem
beiseitegeschoben, da er den Mann für seinen eigenen Aufstieg benutzen wollte. Nun war es zu spät. Er sah, wie die Polizisten ihre Pistolen entsicherten, und wusste, dass er seinem Schicksal nicht mehr würde entrinnen können.
Mit einer scheinbar resignierenden Geste trat er neben eines der Fenster und blickte hinaus. Ein ganzes Stück unter sich sah er das Pflaster des Petersplatzes und auf dem Platz selbst die Pilger und Touristen aus aller Welt. Mit einem wehmütigen Blick wandte er sich an den Sekretär des Papstes.
»Darf ich kurz das Fenster aufmachen? Ich brauche frische Luft!« Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete er und atmete tief durch. Dann schnellte er hoch und sprang. Während der Boden immer näher kam, war sein letzter Gedanke, dass das Verhängnis mit einem ähnlichen Sturz in Neuperlach begonnen hatte.
EINUNDDREISSIG
I m Camp A hatten die Ereignisse in Tallinn ebenfalls tiefe Spuren hinterlassen. Um Unruhen unter seinen Soldaten zu verhindern, hatte General Ghiodolfio bekanntgegeben, dass der Anschlag gelungen sei und es sich bei der Nachricht von seiner Vereitlung nur um feindliche Propaganda handele. Dennoch desertierten in den Tagen nach Tallinn viele. Den jungen Männern, die aus Abenteuerlust zu Ghiodolfios Armee gestoßen waren, hatten die Bilder der Toten, die sie bei albanischen Bekannten im Fernsehen sahen, die Augen geöffnet und ihnen gezeigt, dass die große nationale Revolution, von der ihre Anführer immer noch sprachen, niemals kommen würde.
Ghiodolfio war sich dessen ebenfalls bewusst. Während er in seinem Büro saß und an einem Zigarillo sog, überlegte er, was er tun sollte. Er konnte nicht bis in alle Ewigkeit hier in Camp A bleiben, und es war auch besser, wenn er sich einige Zeit nicht in Italien sehen ließ. Aber er befehligte noch immer einen kampfstarken Verband. Nun überlegte er, welchem Diktator in Afrika, Asien oder Südamerika er sich als Söldner anbieten konnte. Kardinal Winters kirchliche Verbündete würden ihm dabei helfen müssen. Das war das Mindeste, was sie ihm schuldeten.
Als es an der Tür klopfte, sah er auf. »Herein!«
Es war Lodovico, der einstige Archivar im Vatikan. Mangels anderer Kleidung zum Wechseln hatte er die Uniform der Freischärler angezogen, ohne darin jedoch militärisch zu wirken. Er verzichtete auch darauf zu salutieren, sondern stellte sich neben eines der vorgetäuschten Fenster und sah auf die darauf gemalte Landschaft hinaus.
»Was ist los?«, fragte Ghiodolfio.
»Winter und Don Batista sind tot und Fiumetti ist verhaftet worden!«
»Das sind sehr schlechte Nachrichten.« Ghiodolfio verzog das Gesicht und sagte sich, dass er rasch würde handeln müssen.
»Außerdem ist Feiling verschwunden. Er hat den Schlüssel zum Giftschrank gestohlen und mehrere Kilo Rauschgift und einen Packen von Giannis besonderen Pillen mitgenommen. «
»Der Teufel soll ihn holen!« Trotz dieser harschen Worte interessierte sich der General nicht für den geflohenen Deutschen, sondern dachte angestrengt über seine nächsten Schritte nach.
Mitten in seine Überlegungen hinein betrat Don Pietro, ohne anzuklopfen, den Raum.
»Es ist zu Ende. Wir sind verloren!«, rief der Priester aus.
Ghiodolfio beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. »Was soll das schon wieder?«
»Hier, Herr General! Diese Nachricht ist eben hereingekommen! « Mit zitternden Händen reichte Don Pietro dem General ein Blatt Papier.
Dieser warf einen Blick darauf und stieß einen Fluch aus. »Mein Freund«, stand darauf, »der amerikanische Flugzeugträger Franklin D. Roosevelt hat den Befehl erhalten, Camp A um elf Uhr mitteleuropäischer Zeit anzugreifen und zu eliminieren. Mehr als dich zu warnen, kann ich nicht tun!« Die Unterschrift fehlte.
Es war für Ghiodolfio jedoch nicht mehr wichtig, welcher seiner Freunde ihm diese Warnung hatte zukommen lassen. Viel mehr zählte, dass alle anderen ihn fallen gelassen hatten wie eine heiße Kartoffel, um den eigenen Hals zu retten. Er fragte sich, welchem General oder hohen Staatsbeamten
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