Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
fragte, ob sie in jener Nacht mit ihm schlafen dürfte, und dass Lhel zugleich beleidigt und belustigt war, als Iya ihr die vorgeschriebene Enthaltsamkeit für Zauberer erklärte. Die Orëska-Zauberer behielten sich alle Kraft für ihre Magie vor.
Arkoniel fürchtete darob, dass es sich die Hexe anders überlegen könnte. Doch als sie am nächsten Morgen erwachten, wartete sie bereits draußen vor der Tür auf sie und hatte ein Reisebündel hinter dem Sattel ihres zottigen Ponys verzurrt.
Der lange Weg zurück nach Ero hatte sich für den jungen Mann höchst unerquicklich gestaltet. Lhel bereitete es ein diebisches Vergnügen, ihn zu necken, indem sie darauf achtete, dass er sie sah, wenn sie die Röcke anhob, um sich zu waschen. Zudem ließ sie keine Gelegenheit aus, ihn anzurempeln, wenn sie abends das Nachtlager durchstreifte und mit ihren knotigen, fleckigen Fingern die letzten Kräuter des Jahres pflückte. Gelübde hin, Gelübde her, Arkoniel konnte gar nicht anders, als sie wahrzunehmen, und etwas in ihm regte sich dabei unbehaglich.
Nachdem ihre Arbeit in dieser Nacht in Ero getan wäre, würde er sie nie wieder sehen, und dafür würde er zutiefst dankbar sein.
Als sie über einen offenen Platz ritten, deutete Lhel zum vollen, roten Mond empor und schnallte mit der Zunge.
»Kindermond, ganz dick und blutig. Wir uns beeilen. Kein Shaimari .«
Mit einer anmutigen, flüssigen Bewegung führte sie zwei Finger an die Nasenlöcher und ahmte das Einatmen von Luft nach. Arkoniel schauderte.
Iya legte sich eine Hand über die Augen, und Arkoniel verspürte einen flüchtigen Hoffnungsschimmer. Vielleicht würde sie sich doch noch eines Besseren besinnen. Aber sie sandte nur einen Sichtungsbann ins Adelsviertel voraus.
Nach ein paar Lidschlägen schüttelte sie den Kopf. »Nein. Wir haben noch Zeit.«
Eine kalte, salzige Brise zupfte an ihren Mänteln, als sie die seewärtige Seite der Zitadelle erreichten und sich dem Tor zum Palatinkreis näherten. Arkoniel holte tief Luft und versuchte, die wachsende Anspannung in seiner Brust zu lindern. Eine Gruppe Feiernder zog an ihnen vorüber, und im Licht der Laternen des Leuchtjungen warf Arkoniel einen weiteren Blick auf Iya. Das blasse, kantige Antlitz der Zauberin verriet nichts.
Es ist der Wille Illiors , sagte sich Arkoniel insgeheim zum wiederholten Male. An eine Umkehr war nicht zu denken.
Seit dem Tod der einzigen weiblichen Erbin des Königs waren Frauen und Mädchen, die der königlichen Linie nahe standen, mit erschreckender Regelmäßigkeit gestorben. Nur wenige wagten, dies in der Stadt laut auszusprechen, aber in zu vielen Fällen hatten weder Krankheit noch Hunger sie hinab zu Bilairys Tor gerafft.
Eine Base des Königs erkrankte nach einem Bankett im Ort und erwachte am nächsten Morgen nicht mehr. Einer anderen gelang es irgendwie, aus ihrem Turmfenster zu stürzen. Seine beiden hübschen jungen Nichten, die Töchter seines Bruders, ertranken an einem strahlenden Sonnentag beim Segeln. Säuglinge, die in der entfernteren Verwandtschaft geboren wurden, allesamt Mädchen, wurden tot in ihren Krippen aufgefunden. Ihre Ammen tuschelten etwas von Nachtgeistern. Als die möglichen Thronanwärterinnen eine nach der anderen aus dem Leben schieden, wandten die Bewohner Eros beunruhigte Blicke auf die Halbschwester des Königs und das ungeborene Kind in ihrem Leib.
Ihr Gemahl, Herzog Rhius, war fünfzehn Jahre älter als seine schöne junge Frau und besaß riesige Ländereien mit Schlössern, deren größtes in Atyion lag, einen halben Tagesritt nördlich der Stadt. Manche meinten, die Ehe wäre einer Liebschaft zwischen den Ländereien des Herzogs und dem Königlichen Schatzamt entsprungen, doch Iya teilte diese Ansicht nicht.
Wenn Rhius nicht am Hof diente, lebte das Paar im großen Schloss in Atyion. Als Ariani jedoch schwanger wurde, zogen sie nach Ero in Arianis Haus neben dem Alten Palast.
Iya hatte von Anfang an vermutet, dass dies des Königs Wunsch statt des ihren gewesen war, und Ariani hatte ihren Verdacht bei ihrem Besuch in jenem Sommer bestätigt.
»Mögen Illior und Dalna uns einen Sohn gewähren«, hatte Ariani geflüstert, als sie zusammen mit ihr auf dem Hof ihres Hauses gesessen hatte, die Hände auf dem anschwellenden Bauch.
Als Kind hatte Ariani ihren gut aussehenden, älteren Bruder vergöttert, der für sie eher wie ein Vater gewesen war. Mittlerweile verstand sie nur allzu gut, dass sie völlig seiner Gnade ausgeliefert
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