Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
ausreichend erholt, um seine Rolle würdevoll zu spielen.
»Dein Neffe, mein Lehnsherr«, sagte er und legte den Säugling in Erius’ Arme. »Mit deinem Einverständnis soll er Tobin Erius Akandor heißen, zu Ehren der Linie deines Vaters.«
»Ein Sohn, Rhius!« Mit behutsamer, geübter Hand öffnete Erius die Windel.
Arkoniel hielt den Atem an und leerte seinen Geist, als Niryn und der Priester die Hände über das schlafende Kind ausstreckten. Keinem der beiden schien etwas Ungewöhnliches aufzufallen; Lhels Magie hatte sämtliche Spuren der Abscheulichkeit beseitigt, die sie an dem kleinen Körper vollbracht hatte. Und wer würde schon daran denken, im Gemach der Schwester des Königs auf Hügelhexenmagie zu achten?
»Ein prächtiger Knabe für einen solchen Namen, Rhius«, meinte Erius. Sein Blick fiel auf das Muttermal. »Und sieh dir nur das Gunstmal an, das er trägt. Noch dazu am linken Arm. Niryn, du weißt, wie man derlei Dinge deutet. Was verheißt dieses Mal?«
»Weisheit, Majestät«, antwortete der Zauberer. »Eine höchst günstige Eigenschaft für den künftigen Gefährten Eures Sohnes.«
»In der Tat«, pflichtete der König ihm bei. »Ja, du hast meine Erlaubnis, Bruder, und meinen Segen. Und ich habe einen Priester mitgebracht, um ein Opfer für unseren kleinen Krieger darzubringen.«
»Ich danke dir, Bruder«, sagte Rhius.
Der Priester ging zum Kamin und stimmte leiernd Gebete an. Dazu warf er Süßharz und kleine Wachsopfergaben in die Flammen.
»Bei der Flamme, in ein paar Jahren wird er einen großartigen Spielgefährten für meinen Korin abgeben«, fuhr der König fort. »Stell dir die beiden nur vor, wie sie zusammen jagen und die Schwertkunst erlernen werden, wenn dein Tobin ins rechte Alter kommt, um der Gefährtschaft beizutreten. Genau wie einst du und ich, was? Aber ich glaube, es gab noch einen Zwilling, oder?«
Ja, dachte Arkoniel, die Spitzel des Königs waren doch gründlich gewesen.
Nari bückte sich und hob ein anderes winziges Bündel hinter dem Bett hervor. Mit dem Rücken zur Prinzessin brachte sie es zum König. »Ein armes Mädchen, mein König. Hat keinen einzigen Atemzug geschafft.«
Erius und die anderen untersuchten das tote Kind genauso eingehend wie das lebendige. Sie bewegten die schlaffen Glieder, überprüften das Geschlecht und tasteten Brust und Hals nach Lebenszeichen ab. Arkoniel beobachtete aus dem Augenwinkel, wie der König seinem Hofzauberer einen raschen, fragenden Blick zuwarf.
Sie wissen etwas, suchen nach etwas , dachte Arkoniel benommen. Niryns Frage über Träume nahm plötzlich eine unheilvolle Bedeutung an. Hatte der Magier selbst eine Vision gehabt – eine Vision von diesem Kind? Falls ja, wirkte Lhels Magie abermals, denn der ältere Zauberer antwortete mit einem flüchtigen Kopfschütteln. Was immer sie gesucht hatten, hier hatten sie es nicht gefunden. Rasch wandte sich Arkoniel ab, bevor ihn eine Miene der Erleichterung verraten konnte.
Der König reichte den Leichnam zurück an Nari und umfasste Rhius’ Schultern. »Es ist eine harte Prüfung, ein Kind zu verlieren. Sakor weiß, dass ich noch immer um die meinen und ihre liebe Mutter trauere. Ich weiß, es ist ein kalter Trost, aber es ist besser so, bevor ihr einander lieb gewinnen konntet.«
»Es ist, wie du sagst«, gab Rhius leise zurück.
Nach einem letzten, brüderlichen Schulterklopfen ging Erius ans Bett und küsste seine Schwester zärtlich auf die Stirn.
Der Anblick ließ das Blut pochend durch Arkoniels Kopf pulsieren, als er an die Soldaten unten in der Halle dachte. Dieser Thronräuber, dieser Meuchler von Mädchen und Frauen, mochte seine kleine Schwester genug lieben, um ihr Leben zu verschonen, doch wie der Lichtträger gezeigt hatte, erstreckte sich diese Nachsicht nicht auf ihre Kinder. Er hielt die Augen zu Boden gerichtet, während der König und seine Berater die Kammer verließen, und malte sich aus, wie anders diese Begegnung verlaufen wäre, hätte Erius ein lebendiges Mädchen angetroffen.
Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, verwandelten sich Arkoniels Knie in Wasser, und er sank auf einen Stuhl.
Doch die Tortur war noch nicht vorüber. Ariani schlug die Augen auf und erblickte das tote Kind, das Nari hielt. Sie rappelte sich an den Polstern hoch und streckte die Arme danach aus. »Dem Licht sei Dank! Ich wusste, dass ich einen zweiten Schrei gehört hatte, aber ich hatte einen ganz entsetzlichen Traum …«
Die Amme tauschte einen Blick mit
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