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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Hufgeklapper von Reitern und der Schrei: »Öffnet, im Namen des Königs!«
    Lhel erschrak genauso wie der Rest der Anwesenden. In jenem Augenblick der Ablenkung glitt der Kopf des Kindes aus dem Schoß der Mutter, und der Knabe sog kräftig und tief die Luft ein.
    »Beim Licht!«, zischte Iya und wirbelte zu der Hexe herum. Lhel schüttelte den Kopf und beugte sich über den sich windenden Säugling. Arkoniel wich rasch zurück; er konnte nicht mit ansehen, was unweigerlich folgen musste. Er presste die Augen so fest zu, dass er Lichtblitze hinter den Lidern sah, doch es gab kein Entrinnen vor dem kräftigen, gesunden Schrei des Knaben … der unvermittelt abgewürgt wurde. Die Stille, die darauf folgte, verursachte Arkoniel Schwindel und Übelkeit.
    Was danach geschah, schien sehr lange zu dauern, wenngleich ihnen tatsächlich nur wenige Minuten blieben. Lhel nahm von Nari das lebende Kind entgegen und legte es neben den toten Zwilling auf das Bett. Während sie über den beiden einen Sprechgesang anstimmte, zeichnete sie Muster in die Luft. Das lebende Kind verstummte und erstarrte. Als Lhel zu Messer und Nadel griff, musste sich Arkoniel abermals abwenden. Er hörte, wie Rhius hinter ihm leise weinte.
    Dann tauchte Iya an seiner Seite auf und scheuchte ihn hinaus auf den kalten Flur. »Geh nach unten und halt den König auf. So lange, wie du kannst! Ich schicke Nari hinunter, sobald es sicher ist.«
    »Ich soll ihn aufhalten? Wie?«
    Die Tür fiel ihm vor der Nase zu, und er hörte, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde.
    »Na, wunderbar.« Arkoniel trocknete sich das Gesicht am Ärmel ab und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Am Kopfende der Treppe blieb er stehen, wandte das Gesicht zum ungesehenen Mond empor und sandte ein stummes Gebet zu Illior. Hilf meiner stockenden Zunge, Lichtträger, oder umwölke die Augen des Königs. Oder beides, falls das nicht zu viel verlangt ist.
    Nun wünschte er, Hauptmann Tharin wäre hier. Der große, stille Ritter besaß die Gabe, durch seine Haltung in jeder Lage für Entspannung zu sorgen. Tharin hatte ein Leben voller Jagden, Kämpfe und Hofränke hinter sich, wodurch er weit besser geeignet gewesen wäre, einen Mann wie Erius zu unterhalten, als ein junger, hinter den Ohren noch grüner Zauberer.
     
    Mynir hatte in der Zwischenzeit die Lampen angezündet, die zwischen den bemalten Steinsäulen in der Halle hingen. Außerdem hatte er Zedernholzscheite und Süßharz ins Feuer nachgelegt, damit es einen angenehmen Duft verströmte. Erius stand neben dem Kamin und zeichnete sich im Schein des Feuers als große, verwegene Gestalt ab. Wie Rhius hatte den König ein Leben des Krieges geformt, doch seine Züge wirkten immer noch gut aussehend und von einer jugendlichen Gutmütigkeit beseelt, die selbst der am Hof seiner Mutter verbrachten Kindheit getrotzt hatte. Erst in den letzten Jahren, in denen sich die königliche Gruft mit den Leichnamen seiner weiblichen Angehörigen gefüllt hatte, waren manche Menschen dazu übergegangen, jenes freundliche Antlitz als Maske eines dunkleren Herzens zu betrachten, das vielleicht doch die Lektionen seiner Mutter gelernt hatte.
    Wie Arkoniel vermutet hatte, war der König nicht allein gekommen. Sein Hofzauberer, Fürst Niryn, war anwesend und stand so dicht neben dem König wie dessen Schatten. Er war ein schlichter Bursche in seinem zweiten Lebensabschnitt, doch welche Fähigkeiten er auch besitzen mochte, sie hatten ihm einen hohen und schnellen Aufstieg beschert. Jahrelang hatte Erius ebenso wenig Verwendung für Magier gehabt wie seine Mutter, aber nach dem Tod seiner Gemahlin und Kinder war Niryns Stern am Hof stetig gestiegen. Seit kurzem trug er den dichten, roten Bart gegabelt und hatte eine Vorliebe für kostspielige, mit Silber bestickte weiße Gewänder entwickelt.
    Er begrüßte Arkoniel mit einem knappen Nicken, während sich der jüngere Zauberer respektvoll verneigte.
    Erius hatte auch einen Sakor-Priester mitgebracht, ferner ein Dutzend Männer seiner Leibgarde mit spitzen Sporen und goldenen Abzeichen. Arkoniels Magen verkrampfte sich unbehaglich, als er das Funkeln der Kettenpanzer unter den roten Wappenröcken und die langen Messer an ihren Gürteln sah. Es mutete eigenartig an, eine derartige Gesellschaft zu einem solchen Anlass in ein königliches Haus mitzubringen.
    Arkoniel zwang sich zu einem höflichen Lächeln und fragte sich verbittert, wer Erius einen Wink gegeben haben mochte. Vielleicht eine

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