Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Orëska-Zauberer sehr dumm. Und hochmütig , dachte Lhel, als Iya sie eine Hintertreppe hinab und weg von dem verfluchten Haus scheuchte.
In der Hoffnung, das Pech zu durchbrechen, das sie seit all den Wochen aneinander band, spuckte die Hexe dreimal nach links. Eine richtige Gewitterziege war sie, diese Zauberin. Warum hatte Lhel das nicht schon früher erkannt? Sie hatte kaum Zeit gehabt, den letzten Stich an dem lebenden Kind zu setzen, bevor die ältere Magierin sie zum Aufbruch drängte. »Ich noch nicht fertig! Der Geist …«
»Der König ist unten!«, zischte Iya, als sollte Lhel dies etwas bedeuten. »Wenn er dich hier findet, werden wir alle zu Geistern. Ich werde dich mit Gewalt zwingen, wenn es sein muss.«
Welche Wahl hatte Lhel schon gehabt? Und so war sie ihr mit dem Gedanken gefolgt: Dann lastet es eben auf deinem Gewissen.
Doch je weiter sie sich von jenem Haus entfernten, desto schwerer drückte es ihr selbst aufs Gemüt. Die Toten so herzlos zu behandeln, kam einer gefährlichen Schmähung der Großen Mutter und Lhels Handwerk gleich. Diese Zauberin besaß keine Ehre, wenn sie den Geist eines Kindes auf solche Weise sich selbst überließ. Arkoniel hätte vielleicht auf Lhel gehört, doch ihr war längst klar geworden, dass er in der Angelegenheit keinerlei Mitspracherecht besaß. Ihr Gott hatte zu Iya gesprochen, und Iya wollte auf niemand anderen hören.
Sicherheitshalber spuckte Lhel abermals aus.
Lhel hatte einen Monat lang von der Ankunft der beiden Zauberer geträumt, bevor sie tatsächlich in ihrem Dorf eintrafen: ein junger Mann und eine alte Frau, die eine seltsame Bürde in einem Beutel bei sich trugen. Jede Deutung, die sie vorgenommen hatte, während sie auf die beiden wartete, hatte darauf hingewiesen, dass es dem Willen der Großen Mutter entsprach. Lhel musste ihnen jede Unterstützung gewähren, die sie verlangten. Als Iya und Arkoniel letztlich eintrafen, behaupteten sie, eine Vision ihres eigenen Mondgottes habe sie zu ihr geführt. Lhel hatte dies als gutes Omen aufgefasst.
Dennoch hatte sie der Inhalt ihrer Bitte überrascht. Orëska musste fürwahr eine schale, zimperliche Art von Magie sein, wenn es zwei Menschen, die derart mächtige Seelen besaßen, am handwerklichen Rüstzeug fehlte, eine schlichte Hautbindung vorzunehmen. Hätte sie schon damals das Ausmaß ihrer Unwissenheit erkannt, sie hätte versucht, ihnen mehr von ihrem Wissen preiszugeben, bevor die Zeit gekommen war, es einzusetzen.
Doch sie hatte es erst begriffen, als es zu spät gewesen war, erst in dem Augenblick, als ihre Hand versagt hatte und den Knaben seinen ersten Atemzug tun ließ. Iya wollte die notwendige Reinigungsopfergabe nicht abwarten. Es war nur noch Zeit dafür geblieben, die Bindung zu vollenden und zu flüchten; der zornige neue Geist war verloren und alleine zurückgeblieben.
Als das Stadttor vor ihnen in Sicht geriet, lehnte sich Lhel neuerlich auf. »Eine solche Geist nicht darf bleiben erdgebunden!«, wiederholte sie und versuchte, ihr Handgelenk Iyas Griff zu entwinden. »Sonst er wird ein Dämon, und was wollen du dann machen – du, die ihn gar nicht haben binden kann?«
»Ich werde mich darum kümmern.«
»Du sein Närrin.«
Iya wirbelte herum, bis sich ihre Gesichter beinah berührten. »Ich rette gerade dein Leben, Weib, und das des Kindes und seiner Familie! Wenn der Magier des Königs auch nur deinen Geruch aufgeschnappt hat, werden wir alle hingerichtet, angefangen mit dem Säugling. Das Kind ist alles, was vorerst zählt, nicht du oder ich oder sonst irgendjemand in diesem ganzen, elenden Land. Es ist der Wille Illiors.«
Wieder spürte Lhel die gewaltige Macht, die durch die Zauberin strömte. Iya mochte anders und von einer unvertrauten Magie beseelt sein, doch es bestand kein Zweifel daran, dass sie gottberührt und Lhel hinlänglich überlegen war. Und so ließ sich Lhel widerwillig fortführen und das Kind und dessen hautgebundenen Zwilling in der stinkenden Stadt zurück. Sie hoffte, Arkoniel hatte einen starken Baum gefunden, der den Geist in der Erde halten würde.
Sie kauften Pferde und reisten zwei Tage lang zusammen. Lhel sprach wenig, betete aber insgeheim zur Großen Mutter um Geleit. Als sie den Rand des Hochlands erreichten, ließ sie sich von Iya in die Obhut der Führer eines Wagentrosses auf dem Weg nach Westen in die Berge übergeben. Als sie sich voneinander verabschiedeten, versuchte Iya sogar, Frieden mit ihr zu schließen.
»Du
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