Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
hast deine Sache gut gemacht, meine Freundin«, sagte sie. Traurigkeit sprach aus ihren haselnussbraunen Augen, als sie Lhels Hände ergriff. »Bleib in der Sicherheit der Berge, und alles wird gut werden. Wir dürfen uns nie wiedersehen.«
Lhel beschloss, der kaum verhohlenen Drohung keine Beachtung zu schenken. Aus einer Tasche an ihrem Gürtel holte sie ein kleines Silberamulett in Form eines Vollmonds hervor, zu beiden Seiten gesäumt von zierlichen Mondsicheln. »Für dann, wenn Kind wieder Frauengestalt werden.«
Iya betrachtete das Schmuckstück in ihrer Handfläche. »Der Schild der Großen Mutter.«
»Du ihn verstecken. Sein nur für Frauen. Als Knabe sie muss das da tragen.« Sie reichte Iya einen kurzen Haselzweig mit polierten Kupferhülsen an beiden Enden.
Iya schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Ich bin nicht die einzige Zauberin, die sich mit den Gepflogenheiten deiner Art von Magie befasst hat.«
»Dann das für sie aufheben!«, bedrängte Lhel sie. »Kind werden brauchen viel Magie für Überleben.«
Iya schloss die Hand um die Amulette, vereinte Holz mit Silber. »Das werde ich, versprochen. Leb wohl.«
Lhel blieb drei Tage bei dem Wagentross, und jeden Tag lastete das schwarze, kalte Gewicht des Geistes des toten Kindes schwerer auf ihrem Herzen. Jede Nacht wurden die Schreie des Knaben in ihren Träumen lauter. Sie betete zur leuchtenden Großen Mutter, ihr zu zeigen, weshalb sie entsandt worden war, um ein solches Geschöpf zu erschaffen, und was sie tun musste, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen.
Die Große Mutter antwortete, und in der dritten Nacht tanzte Lhel für ihre Führer den Traumschlaftanz, mit dem sie ihre Gedanken gerade soweit verführte, um jegliche Erinnerung an sie und die Vorräte, die sie mitnahm, aus ihren Gedächtnissen zu verbannen.
Im Licht einer abnehmenden Mondsichel warf sie ihren Reisebeutel über den Hals ihres Pferdes und kehrte in Richtung der stinkenden Stadt um.
K APITEL 4
In den unbehaglichen Tagen nach der Geburt kümmerten sich ausschließlich Nari und der Herzog um Ariani. Rhius sandte eine Botschaft an Tharin und schickte den Hauptmann zum Anwesen in Cirna, um ihn eine Weile fernzuhalten.
Über den Haushalt senkte sich Stille. Schwarze Banner wehten auf den Dachgiebeln und kündeten von der Trauer über die vermeintliche Totgeburt. Rhius stellte auf dem Hausaltar ein Becken mit frischem Wasser auf und verbrannte die Astellus geweihten Kräuter, die den Wasserpfad zu Geburt und Tod glätteten und frischgebackene Mütter vor Kindbettfieber beschützten.
Nari jedoch, die tagtäglich an Arianis Bett saß, wusste, dass die Frau an keinem Fieber krankte, sondern an einem tief sitzenden Herzensleid. Nari war alt genug, um sich an die letzten Tage von Königin Agnalain zu erinnern und betete, ihre Tochter möge nicht demselben Kurs des Wahnsinns verfallen.
Tag für Tag, Nacht für Nacht warf sich Ariani auf den Kissen hin und her, erwachte und rief: »Das Kind, Nari! Hörst du den Knaben nicht? Ihm ist so kalt.«
»Dem Kind geht es gut, Hoheit«, beschwichtigte Nari sie jedes Mal. »Seht ihr? Tobin liegt in der Krippe gleich hier neben Euch. Schaut nur, wie kräftig er ist.«
Doch Ariani würdigte das lebendige Kind keines Blickes. »Nein, ich höre ihn«, beharrte sie und starrte mit wirrem Blick um sich. »Warum habt ihr ihn hinausgesperrt? Hol ihn sofort herein!«
»Draußen ist kein Kind, Hoheit. Ihr habt nur wieder geträumt.«
Nari sagte die Wahrheit, denn sie hörte nichts, aber einige der anderen Bediensteten behaupteten, draußen in der Dunkelheit das Weinen eines Neugeborenen vernommen zu haben. Bald verbreitete sich im Haus das Gerücht, das zweite Kind wäre mit geöffneten Augen tot geboren worden; und jeder wusste, dass Dämonen durch solche Geburten auf der Welt Einzug hielten. Mehrere Mägde waren bereits mit dem Befehl zurück nach Atyion geschickt worden, ihren Klatsch für sich zu behalten. Nur Nari und Mynir kannten die Wahrheit hinter dem Tod des zweiten Kindes.
Mynirs Schweigen wurde durch seine Ergebenheit gegenüber dem Herzog gewährleistet, und Nari stand in Iyas Schuld. Die Zauberin hatte sich drei Generationen lang als Wohltäterin ihrer Familie erwiesen, und in jenen ersten, wirren Tagen nach der Geburt hatte allein diese Verbundenheit die Amme davon abgehalten, zurück in ihr eigenes Dorf zu flüchten. Iya hatte keine Dämonen erwähnt, als Nari eingewilligt hatte, ihr zu dienen.
Letztlich
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