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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Agnalain persönlich.
    »Unsere Großmutter wandelt durch genau diese Hallen«, sagte Korin, der dicht neben Tobin saß, als er die Geschichte zum Besten gab. »Sie trägt eine goldene Krone auf dem Kopf, und Blut läuft ihr über das Gesicht und das Kleid hinab – das Blut all der Unschuldigen, die sie in die Folterkammern und an den Galgen geschickt hat. In der Hand hält sie ein blutiges Schwert, und um die Mitte trägt sie einen goldenen Hüftgürtel, an dem die Pimmel all der Gemahle und Geliebten hängen, die sie sich genommen hat.«
    »Wie viele sind es?«, wollte jemand wissen, und es hörte sich nach einer alten Frage an.
    »Hunderte!«, riefen alle im Chor.
    Nach dem Grinsen zu urteilen, das die jüngeren Burschen untereinander tauschten, vermutete Tobin, dass dies eine Probe darstellte, um zu sehen, ob die neuen Gefährten Angst zeigen würden. Doch er hatte reichlich Zeit an verwunschenen Orten verbracht, um zu wissen, wie sich einer anfühlte; bislang hatte er hier im Palast nichts dergleichen gespürt, nicht einmal in der königlichen Gruft unter all den Toten.
    Verstohlen warf er einen weiteren Blick zu Ki, der ausgestreckt auf den Binsen am Rand des Kegels des Feuerscheins lag. Er wahrte sorgsam einen gelangweilten Gesichtsausdruck, doch Tobin vermeinte, in den Augen seines Freundes Unbehagen zu erspähen. Vielleicht hatte es ihn doch nicht von all seinen Ängsten befreit, so lange neben Bruder gelebt zu haben.
    Als sich die Geschichten über schwebende Köpfe, gespenstische Hände und unsichtbare Lippen, die nachts Lampen ausbliesen, weiter fortsetzten, stellte Tobin fest, dass er sich selbst nicht ganz so tapfer fühlte. Als sie schließlich in ihr riesiges, schattiges Gemach zurückkehrten, war er dankbarer als sonst für Kis Gesellschaft und die des kleinen Baldus auf seiner Pritsche an ihrer Tür.
    »Hast du hier je einen Geist gesehen«, fragte er ihn, nachdem sich die anderen Bediensteten für die Nacht zurückgezogen hatten. Molay schlief ebenfalls auf einer Pritsche, jedoch draußen vor der Tür, um Wache zu halten.
    »O ja! Jede Menge«, antwortete der Junge und hörte sich recht vergnügt dabei an.
    Tobin zog die Bettvorhänge zu, dann tauschte er einen besorgten Blick mit Ki. Das Bett mochte groß genug für eine ganze Familie sein, trotzdem legten sie sich dicht genug aneinander, um sich an den Schultern zu berühren.
     
    Irgendwann später wurden sie von schlurfenden und klappernden Geräuschen geweckt, die aus allen Richtungen gleichzeitig ertönten.
    »Baldus, was ist das?«, rief Tobin. Jemand hatte sämtliche Lampen gelöscht. Er konnte rein gar nichts erkennen.
    Der widernatürliche Schimmer von Leuchtsteinen fiel auf sie herein, als tote, weiße Hände die Vorhänge aufrissen.
    Tobin rang einen erschrockenen Schrei zurück. Das Zimmer war voller zottiger, buckliger Gestalten, die stöhnten und lange, weiße Knochen in den Händen aufeinanderschlugen, während sie um das Bett marschierten.
    Der Schrei verwandelte sich rasch in ersticktes Gelächter. Selbst bei diesem Licht erkannte er Korin und Caliel unter der schwarzen und weißen Farbe, die ihre Gesichter bedeckte. Sie trugen lange, schwarze Mäntel und etwas, das nach Perücken aus ausgefransten Seilen aussah. Das Licht stammte von mehreren Leuchtsteinen an langen Stöcken, die einige der anderen Jungen hielten. Es waren zu viele, als dass es sich nur um die Gefährten handeln konnte; bei eingehenderer Betrachtung erkannte Tobin einige der jungen, adeligen Burschen und Mädchen, die sich auf dem Übungsgelände herumtrieben. Auch den Weingeruch, der von ihnen ausging, roch Tobin. Baldus kauerte auf seiner Pritsche an der Tür und hatte beide Hände auf den Mund gepresst, schien jedoch eher vor Gelächter als vor Angst zu zittern.
    »Seid ihr Geister?«, erkundigte sich Tobin und bemühte sich redlich, eine ernste Miene zu wahren.
    »Wir sind die Geister des Alten Palastes!«, heulte Caliel. »Du musst deinen Wert beweisen, neuer Gefährte. Du und dein Knappe, ihr müsst die verbotene Kammer betreten und euch auf den Thron der wahnsinnigen Königin setzen.«
    »Na gut. Komm mit, Ki.« Tobin glitt aus dem Bett und zog seine davor abgestreifte Hose an.
    Ihre gespenstische Begleitgarde verband ihnen die Augen, dann wurden sie emporgehoben und einen offenbar weiten Weg an einen kalten, stillen Ort getragen, an dem es nach Verwesung und Meer roch.
    Als Tobin auf die Füße gestellt und ihm die Augenbinde abgenommen wurde, fand er

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