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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Schulter seines Freundes; wie zu erwarten, zitterte Ki wie Espenlaub.
    Er brachte den Mund dicht an Kis Ohr und flüsterte: »Hier gibt es keine Geister. Korin und die anderen haben mit ihren Geschichten heute Abend bloß versucht, uns zu ängstigen, um uns auf das hier einzustimmen. Ich meine, überleg nur, was sie anhatten! Wer weiß besser als ich , wie ein richtiger Geist aussieht?«
    Ki grinste, und einen flüchtigen Lidschlag lang spielte Tobin mit dem Gedanken, Bruder loszulassen, um den anderen zu zeigen, wozu ein echter Geist in der Lage war. Stattdessen erhob er für jene, die hinter ihnen lauschten, die Stimme und sagte: »Komm mit, Ki, der Thron ist gleich dort drüben. Lass uns meine Großmutter besuchen gehen.«
    Ihre Schritte hallten tapfer im nicht zu erkennenden Gewölbe über ihnen wider und scheuchten einige Kreaturen auf, die mit weichen Schwingen die Nachtluft durchschnitten. Vielleicht handelte es sich um Geister von Toten, doch wenn dem so war, hielten sie Abstand.
    Wie Tobin vermutet hatte, stand der Thron auf einer breiten Plattform in der Mitte des Saals. Zwei kurze Treppen führten hinauf, und den Königssessel selbst verhüllte eine dunkle Abdeckung.
    »Wir müssen uns auf den Thron setzen«, erinnerte Ki ihn. »Nach Euch, Hoheit.«
    Tobin erwiderte Kis höhnische Verneigung mit einer Geste, die Nari missbilligt hätte, und erklomm die Stufen zum Thron. Als er sich vorbeugte, um das Tuch beiseite zu ziehen, das ihn verhüllte, zog sich der dunkle Stoff zu einer weißgesichtigen Gestalt zusammen, die auf ihn zusprang, ein Schwert zückte und kreischte: »Verräter! Verräter! Richtet ihn hin!«
    Eher erschrocken denn verängstigt wäre Tobin rücklings die Treppe hinabgestolpert, wäre Ki nicht da gewesen, um ihn aufzufangen und wieder auf die Beine zu stellen. Beide erkannten die Stimme, so verstellt sie sein mochte.
    Es war Aliya.
    »Guten – guten Abend, Großmutter!«, brachte Tobin hervor, und der Rest der vermeintlichen Geister kam mit Lichtern herbeigerannt und gesellte sich zu ihnen. Tobin versuchte, Aliyas Hand zu ergreifen und sie zu küssen, aber sie riss sie zurück.
    »Oh, mit ihm macht das überhaupt keinen Spaß!«, rief Aliya aus und stampfte enttäuscht mit dem Fuß auf.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass er sich nicht einschüchtern lassen würde!« Korin umarmte Tobin und hob ihn dabei von den Beinen. »Du schuldest mir zehn Sester, Alben. Bei der Flamme, kein Blutsverwandter von mir ist ein Feigling. Und du bist auch keiner, Ki, obwohl mir aufgefallen ist, dass du gezittert hast, als du hereingegangen bist. Aber zerbrich dir deswegen nicht den Kopf; du hättest mal Garol sehen sollen.« Korin streckte die Hand aus und zog dem anderen Knappen die Perücke vom Kopf. »Er ist von der Treppe gefallen und hätte beinah sein Gehirn über den Boden verteilt.«
    »Ich bin bloß gestolpert«, grummelte Garol.
    »Ich auch um ein Haar«, gestand Tobin. »Aber nur, weil Aliya mich überrascht hat. Sie versteckt sich besser, als sie spukt.«
    »Das musst du ja wohl wissen, was?«, schoss sie zurück.
    »Ja, tue ich. Korin, darf ich die goldene Tafel sehen?«
    Der Prinz legte den Kopf schief. »Die was?«
    »Die goldene Tafel mit der Prophezeiung von Afra darauf. Sie muss hier irgendwo neben dem Thron sein.«
    »Hier ist nichts dergleichen.« Korin ergriff Tobins Arm und führte ihn rings um das Podest. Wie er gesagt hatte, war kein Anzeichen einer Tafel zu entdecken. »Kommt mit, ihr zwei, wir müssen euren großen Triumph feiern.«
    So sehr sich Tobin darüber freute, die Probe bestanden zu haben, so entsetzlich enttäuschte ihn, die Tafel nicht vorzufinden. Und wie konnte Korin nichts davon wissen, der sein ganzes Leben hier aufgewachsen war? Hatte sich Tobins Vater geirrt?
    Als sie zurück zum Fenster gingen, drehte er sich für einen letzten Blick zurück, dann riss er sich vom Prinzen los und rief: »Oh, sieh nur! Korin, schau!«
    Hier gab es doch einen Geist. Der geschnitzte Thron stand nun unverhüllt da, und eine Frau saß darauf. Das Rempeln und der Lärm der anderen Gefährten schien in der Ferne zu verblassen, während Tobin die Frau betrachtete. Obwohl er sie nicht erkannte, wusste er, um wen es sich handeln musste: eine der Altvordern – keine Figur in einer Truhe, kein Name in einer Geschichte, auch keiner von Korins dummen Streichen. Dies war ein Geist so echt und wissend wie Tobins eigener Zwilling.
    Die Frau trug eine goldene Krone und eine Rüstung uralter Machart.

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