Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
Lhel hatte ein Fell über Tobin gestülpt, aber war sie schnell genug gewesen?
Noch als er die Hand erhob, um das Gelübde zu halten, das er Iya und Rhius gegenüber an dem Tag abgegeben hatte, als sie eingewilligt hatten, ein anderes Kind in die Feste kommen zu lassen, klammerte er sich an jenen Krumen von Zweifel. Er selbst hatte Iya gesagt, der neue Gefährte sollte ein Kind sein, das niemand vermissen würde.
Ja, er hatte vorgehabt, sein Gelübde zu halten und Ki zu töten, doch sein Herz hatte ihn verraten und den Zauber gestört; er hatte noch versucht, ihn im letzten Augenblick in eine Blendung zu verwandeln; stattdessen hatte er einen unfertigen Blitz entfesselt, der Ki durch die Luft geschleudert hatte, als wöge er nicht mehr als eine Handvoll Spreu. Er hätte ihn getötet, wenn Lhel nicht herbeigeeilt wäre und sein Herz ins Leben zurückgeholt hätte. Außerdem hatte sie behauptet, sämtliche Erinnerungen gelöscht zu haben, die Ki an Tobins Anblick gehabt haben mochte, und sie durch verschwommene Empfindungen einer Krankheit ersetzt zu haben. Hätten Arkoniel und Iya nur gewusst, dass so etwas möglich war …
Wenn sie nur nicht zu hochmütig gewesen wären, um danach zu fragen …
So froh Arkoniel darüber war, dass Ki lebte, der Wahrheit konnte er nicht entrinnen; er hatte bei der Erfüllung seiner Pflicht versagt, indem er Ki nicht getötet hatte, zugleich hatte er den Jungen verraten, indem er es versucht hatte.
Jahrelang hatte er sich eingeredet, er sei anders als Iya und Lhel. Nun schien seine vermeintliche Leidenschaft lediglich Schwäche zu sein.
Beschämt schlich er in seine einsame Kammer und überließ die beiden Unschuldigen einem Frieden, den er selbst vielleicht nie wieder erfahren würde.
K APITEL 3
Am nächsten Tag war Ki noch zu schwach und benommen, um aufzustehen, deshalb brachte Köchin Tobins verspätete Namenstagskuchen ins Krankenzimmer. Nari bedachte Tobin mit einer neuen Weste und Strümpfen, die sie gestrickt hatte, und Koni, der Pfeilmacher, schenkte ihm sechs feine neue Schäfte. Laris hatte Jagdpfeifen aus Knochen für ihn und Ki geschnitzt, und Arkoniel bot ihm scheu einen besonderen Beutel zum Befördern von Feuerspänen dar.
»Ich fürchte, mein Geschenk für dich ist noch in Ero«, sagte Tharin zu ihm.
»Meines auch«, fügte Ki mit von Kuchen vollem Mund hinzu. Sein Kopf musste erst noch genesen, aber sein Appetit war bereits wiederhergestellt.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlten sich die Dinge allmählich wieder sicher und gewöhnlich an. Tobins Herz schwoll vor Freude an, als er den Blick über die anderen wandern ließ, die lachten und sich unterhielten. Abgesehen von Iyas Anwesenheit hätte es jede beliebige Namenstagsfeier sein können, die er je gehabt hatte.
Am nächsten Tag ging es Ki so gut, dass er sich rastlos fühlte, doch Nari wollte nichts davon hören, ihn aus dem Krankenzimmer zu lassen. Ki schmollte und beklagte sich so sehr, dass sie sicherheitshalber seine Kleider mitnahm.
Kaum war sie gegangen, kletterte Ki aus dem Bett und wickelte sich in eine Decke.
»So, wenigstens kann ich aufstehen«, brummte er. Nach einer Weile fühlte er sich wieder schlechter, wollte jedoch nicht zugeben, dass Nari Recht gehabt hatte. Er rang die Übelkeit nieder und bestand darauf, Bakshi zu spielen. Nach einigen Würfen allerdings fing er an, alles doppelt zu sehen, und ließ sich von Tobin zurück ins Bett helfen.
»Erzählt es ihr nicht, ja?«, bat er und schloss die Augen. Der Versuch, die beiden mit gerunzelter Stirn auf ihn herabblickenden Tobins zu einen, verursachte ihm Kopfschmerzen.
»Werd ich nicht, aber vielleicht solltest du auf sie hören.« Ki vernahm, wie sich Tobin auf dem Sessel neben dem Bett niederließ. »Du siehst immer noch abgehärmt aus.«
»Morgen geht es mir wieder gut«, meinte Ki und wünschte sich mit aller Willenskraft, dass es wahr würde.
Das Wetter wurde kälter. Kleine, harte Flocken rieselten von einem diesigen Himmel, und das abgestorbene Gras auf der Weide funkelte jeden Morgen vor dichtem Raureif.
Ki verschlang jede Brühe, jeden Pudding und jeden Bratapfel, den Köchin zu ihm ins Zimmer schickte, und verlangte bald nach Fleisch. Er nörgelte weiter darüber, eingesperrt zu sein, und spielte seinen Zustand herunter, doch Tobin wusste, dass er noch weit von seinem alten Selbst entfernt war. Nach wie vor wurde er oft unverhofft müde, und manchmal machten ihm immer noch seine Augen zu
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