Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Herausforderungen annehmen zu müssen. Um die Unannehmlichkeit zu meiden, auf die Unverschämtheiten irgendwelcher Querköpfe eingehen zu müssen, ernennen die regierenden Häupter Eosiens für gewöhnlich einen überragenden – und meist weithin als unübertrefflich gerühmten – Kämpfer zu ihrem Vertreter. Ritter Sperbers Wesen und Ruf sind von der Art, daß selbst die streitsüchtigsten Edlen des Königreichs Elenien nach genauerer Überlegung zu dem Schluß kommen, auf eine Herausforderung verzichten zu können, da sie gar nicht wirklich beleidigt worden seien. Es ist Ritter Sperbers Waffengeschick und seiner Besonnenheit zuzuschreiben, daß er sich selten gezwungen sah, jemanden zu töten, der dennoch auf einen Kampf bestand, da nach altem Brauch ein schwerverwundeter Gegner sein Leben retten kann, indem er sich ergibt und seine Herausforderung zurücknimmt.
Nach dem Tod seines Vaters nahm Ritter Sperber bei König Aldreas, dem Vater der derzeitigen Königin, seine Pflichten auf. König Aldreas war jedoch ein schwacher Monarch. Er wurde vollkommen von seiner Schwester Arissa und Annias beherrscht, dem Primas von Cimmura, der Arissas heimlicher Liebhaber und Vater ihres unehelichen Sohnes Lycheas war. Der Primas von Cimmura – de facto Herrscher von Elenien – erhoffte sich, zum Erzprälaten der Elenischen Kirche in der Heiligen Stadt Chyrellos aufzusteigen. Aus diesem Grund betrachtete er die Anwesenheit des sittenstrengen Ordensritters am Hofe als Gefährdung. Er überredete König Aldreas, Ritter Sperber ins Exil in das Königreich Rendor zu schicken.
Alsbald wurde Annias auch der König unbequem, worauf er und die Prinzessin den Monarchen vergifteten. Prinzessin Ehlana, Aldreas' Tochter, bestieg den Thron. Zwar war die Königin Ehlana noch sehr jung an Jahren, doch hatte sie in ihrer frühen Kindheit Ritter Sperber zum Lehrer gehabt, und sie erwies sich als weit stärkerer Monarch als ihr Vater es gewesen war. Deshalb betrachtete Primas Annias sie als mehr denn nur lästig. Er vergiftete auch Ehlana, doch Ritter Sperbers Kameraden aus dem Pandionischen Orden schützten sie mit Hilfe ihrer Lehrerin in den geheimen Künsten, einer Styrikerin namens Sephrenia. Dieser Schutz war ein Zauber, der Ehlana in Kristall hüllte und sie, wenngleich nur für begrenzte Zeit, am Leben hielt.
So war die Lage, als Ritter Sperber aus seinem Exil zurückkehrte. Da die Kriegerorden allesamt gegen eine Ernennung des Primas von Cimmura zum Erzprälaten waren, wurden bestimmte Streiter der drei übrigen Orden abgestellt, Ritter Sperber bei der Suche nach einem Gegenmittel oder einer sonstigen Heilmethode zu unterstützen, die Gesundheit Königin Ehlanas wiederherzustellen. Da die Königin dem Annias den freien Zugang zur Reichsschatzkammer verwehrt hatte, folgerten die Ordensritter, daß Ehlana dem Primas auch nach ihrer Genesung nicht jene Mittel überlassen würde, die für seine Kandidatur unabdingbar waren.
Annias verbündete sich mit Martel, einem aus dem pandionischen Orden ausgestoßenen Renegaten. Dieser Martel war in styrischer Magie bewandert, wie alle Pandioner. Er behinderte Sperber mit natürlichen wie übernatürlichen Mitteln, doch der Ritter und seine Kameraden fanden schließlich heraus, daß Königin Ehlanas Gesundheit nur mit Hilfe eines magischen Steins wiederhergestellt werden konnte, der als »Bhelliom« bekannt war.
Westliche Elenier sind ein eigenartiges Volk. In weltlicher Hinsicht hochentwickelt, sind sie uns in manchen Dingen sogar überlegen, jedoch von einem beinahe kindlichen Glauben an Schwarze Magie geprägt. Dieser »Bhelliom« ist, wie wir erfuhren, ein sehr großer Saphir, der vor langer Zeit mit größter Sorgfalt und Kunstfertigkeit in Form einer Rose geschliffen wurde. Die Elenier sind davon überzeugt, daß es sich bei dem Künstler um einen Troll gehandelt hat – ein so absurder Gedanke, daß wir nicht näher darauf eingehen wollen.
Jedenfalls gelang es Ritter Sperber und seinen Gefährten, zahlreiche Hindernisse zu überwinden und schließlich diesen eigenartigen Talisman an sich zu bringen, der (wie sie behaupten) Königin Ehlana errettete. Doch wahrscheinlicher ist, daß ihre Lehrerin Sephrenia, die Lehrmeisterin der Ordensritter, dies ohne jedes Hilfsmittel bewerkstelligte, und daß die angebliche Benutzung des Bhellioms nicht mehr denn eine List war, die sie vor der schrecklichen Bigotterie der Westelenier schützen sollte.
Als Erzprälat Cluvonus im Sterben lag, begab sich
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