Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
weißt du.«
»Schön, daß sie sich um mich sorgt.«
»Wir waren hier weniger darüber erfreut. Was wollte Dolmant denn aus Lamorkand?«
»Informationen. Er hatte Zweifel an der Wahrheit einiger Berichte.«
»Zweifel? Verstehe ich nicht. Die Lamorker gehen doch nur ihrem üblichen Zeitvertreib nach, dem Bürgerkrieg.«
»Diesmal scheint es ein bißchen anders zu sein. Erinnerst du dich an Graf Gerrich?«
»Der uns in Baron Alstroms Burg belagerte? Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, aber seinen Namen hab' ich mir gemerkt.«
»Es hat den Anschein, als wäre Gerrich der große Nutznießer aller Streitigkeiten in Westlamorkand, und fast jeder dort ist überzeugt, daß er ein Auge auf den Thron geworfen hat.«
»Na und?« Kalten bediente sich von Sperbers Brotlaib. »Jeder Baron in Lamorkand würde gern auf dem Thron sitzen. Was beunruhigt Dolmant in diesem Fall?«
»Gerrich hat Bündnisse außerhalb der lamorkischen Grenzen geschlossen. Ein paar von diesen pelosischen Grenzbaronen sind mehr oder minder unabhängig von König Soros.«
»In Pelosien ist jeder unabhängig von Soros. Man kann ihn nicht gerade als guten König bezeichnen. Für meinen Geschmack betet er ein bißchen zuviel.«
»Ein seltsamer Standpunkt für einen Soldaten Gottes«, murmelte Khalad.
»Alles Übertriebene ist ungesund, Khalad«, erklärte Kalten ihm. »Zu viel beten trübt den Verstand.«
»Wie dem auch sei«, fuhr Sperber fort, »falls es Gerrich gelingt, diese pelosischen Barone ins Schlepptau zu nehmen, wenn er nach König Friedahls Thron greift, wird dem König nichts anderes übrigbleiben, als Pelosien den Krieg zu erklären. Die Kirche ist bereits in einen Krieg in Rendor verwickelt, und Dolmant legt keinen Wert auf eine zweite Front.« Er machte eine Pause. »Aber ich bin noch auf etwas anderes gestoßen«, fuhr er fort. »Zufällig hörte ich ein Gespräch, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Dabei fiel der Name ›Fyrchtnfles‹. Sagt er euch etwas?«
Kalten zuckte die Schultern. »Er war einst der Nationalheld der Lamorker, aber das ist schon lange her. Angeblich war Fyrchtnfles etwa zwölf Fuß groß, aß jeden Morgen einen Ochsen zum Frühstück und trank jeden Abend ein großes Faß Met. Der Sage nach konnte er Felsen mit einem einzigen Blick zerschmettern und die Sonne mit einer Hand anhalten. Aber das könnte natürlich ein bißchen übertrie ben sein.«
»Sehr komisch. Die Gruppe, die ich belauschte, sprach davon, daß er zurückgekehrt sei.«
»Na, das wär' was! Man erzählt, daß sein engster Freund ihn umgebracht hat. Stach ihn in den Rücken und stieß einen Speer durch sein Herz. Ihr wißt ja, wie Lamorker sind.«
»Es ist ein merkwürdiger Name«, meinte Khalad. »Was bedeutet er?«
»Fyrchtnfles?« Kalten kratzte sich am Kopf. »›Furchteinflößender‹, würde ich sagen. Lamorker Mütter lassen sich so was einfallen, wenn ihre Kinder nicht artig sind.« Er leerte seinen Becher und hielt die Kanne darüber, bis sie auch die letzten paar Tropfen hergab.
»Sprechen wir noch länger darüber?« fragte er. »Wenn wir auch den Rest der Nacht hier sitzen, gehe ich noch Wein holen. Aber um ehrlich zu sein, Sperber, ich würde lieber in mein kuscheliges warmes Bett zurück!«
»Und zu Eurer kuscheligen warmen Kammerzofe?« fügte Khalad hinzu.
»Sie wird sich einsam und verlassen fühlen.« Kalten zuckte die Schultern. Dann wurde er ernst. »Wenn die Lamorker wieder von Fyrchtnfles zu reden anfangen, fühlen sie sich bedroht. Fyrchtnfles wollte die Welt beherrschen. Jedesmal, wenn die Lamorker ihn beschwören, ist es ein Anzeichen dafür, daß sie sich außerhalb ihrer Grenzen Ellbogenfreiheit verschaffen wollen.«
Sperber schob seine Platte zur Seite. »Jetzt, mitten in der Nacht, ist es zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Geh wieder ins Bett, Kalten. Du auch, Khalad. Morgen reden wir weiter darüber. Ich sollte meiner Gemahlin jetzt wirklich einen Höflichkeitsbesuch abstatten.« Er erhob sich.
»Mehr nicht?« Kalten blickte ihn an. »Nur einen Höflichkeitsbesuch?«
»Es gibt viele Arten von Höflichkeit, Kalten.«
Die Korridore im Schloß wurden von den Kerzen, die in großen Abständen in Wandhalterungen steckten, schummrig beleuchtet. Sperber ging leise am Thronsaal vorbei zu den königlichen Gemächern. Wie üblich döste Mirtai in einem Sessel vor der Tür. Sperber blieb stehen und betrachtete die tamulische Riesin. Wenn sie schlief, war ihr Gesicht von ergreifender
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