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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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bin, trotz meiner Unverblümtheit und allem.« Er sah mich scharf an. Ich würde nicht in seinem Team spielen; einen Moment lang waren seine Gedanken fast unverhüllt sichtbar.
    »Natürlich«, sagte Bernard und stand mit mir zusammen auf. Er streckte den Arm aus und schüttelte mir die Hand. Seine Hand war feucht. Er war genauso nervös wie ich, auch wenn er es nicht offen zeigte.
     
    Ich kehrte in meine Wohnung zurück und blieb dort bis zum Mittag. Ich las, versuchte meine Gedanken zu ordnen und eine Entscheidung zu treffen – was real war, was ich schützen mußte.
    Jeder kann nur ein begrenztes Ausmaß an Veränderungen ertragen. Innovation ja, aber bei der Anwendung sollte man sich Zeit lassen und nichts forcieren. Jeder Mensch hat das Recht, derselbe zu bleiben, bis er es sich anders überlegt.
    Der größte wissenschaftliche Fortschritt seit…
    Und Bernard würde ihn forcieren. Genetron würde ihn forcieren. Ich wurde mit dem Gedanken nicht fertig. »Neo-Luddit«, (* Englische Textilarbeiter, die Anfang des 19. Jahrhunderts aus Angst vor der Arbeitslosigkeit die Maschinen stürmten; benannt nach einem der ersten Maschinenstürmer, Ned Lud. – Anm. d. Übers.) sagte ich zu mir. Eine böse Anschuldigung.
    Als ich Vergils Nummer auf dem Sicherheitstastenfeld des Gebäudes eingab, meldete er sich sofort. »Ja«, sagte er. Er klang jetzt heiter. »Komm rauf! Ich bin im Bad. Die Tür ist offen.«
    Ich betrat sein Apartment und ging durch den Flur zum Bad. Vergil saß in der Wanne, bis zum Hals in rötlichem Wasser. Er lächelte mich unbestimmt an und planschte mit den Händen. »Sieht aus, als hätte ich mir die Pulsadern aufgeschnitten, nicht?« sagte er leise. »Keine Bange. Jetzt ist alles in Butter. Genetron stellt mich wieder ein. Bernard hat gerade angerufen.« Er zeigte zum Telefon und zur Gegensprechanlage im Bad.
    Ich setzte mich auf die Toilette und bemerkte, daß die Höhensonne neben den Handtuchschränken stand. Die UV-Lampen lagen in einer Reihe am Rand der Platte, in die das Waschbecken eingelassen war. »Du bist sicher, daß du das willst«, sagte ich mit hängenden Schultern.
    »Ja, ich glaub schon«, sagte er. »Die können sich besser um mich kümmern. Ich wasch mich noch schnell und zieh heute abend rüber. Bernard holt mich mit seiner Limousine ab. Prima. Von jetzt an läuft alles prima.«
    Die rötliche Farbe des Wassers sah nicht nach Seife aus. »Ist das ein Schaumbad?« fragte ich. Dann wurde mir schlagartig einiges klar, und ich fühlte mich noch ein bißchen elender. Was mir da in den Sinn gekommen war, war nur ein weiterer offenkundiger und unausweichlicher Irrsinn.
    »Nein«, antwortete Vergil. Ich wußte es bereits.
    »Nein«, wiederholte er, »es kommt aus meiner Haut. Sie erzählen mir nicht alles, aber ich glaube, sie schicken Kundschafter aus. Astronauten.« Er sah mich mit einer Miene an, in der nicht so sehr Besorgnis lag, sondern eher Neugier, wie ich es aufnehmen würde.
    Bei der Bestätigung spannten sich meine Bauchmuskeln, als ob sie einen Schlag erwarteten. Ich hatte die Möglichkeit bis jetzt nie auch nur erwogen, vielleicht weil ich mich auf andere Aspekte konzentriert hatte. »Passiert das zum erstenmal?« fragte ich.
    »Ja.« Er lachte. »Ich hätte gute Lust, die kleinen Biester im Abfluß runterzuspülen. Dann können sie rausfinden, wie’s in der Welt wirklich zugeht.«
    »Sie würden überall hingelangen«, sagte ich.
    »Garantiert.«
    »Wie… wie geht’s dir?«
    »Ziemlich gut im Moment. Müssen Milliarden sein.« Er planschte noch mehr mit seinen Händen. »Was meinst du? Soll ich die kleinen Biester rauslassen?«
    Rasch und fast ohne nachzudenken kniete ich mich neben die Wanne. Meine Finger tasteten nach dem Stromkabel der Höhensonne, und ich steckte sie ein. Er hatte Türklinken unter Strom gesetzt, meine Pisse blau gefärbt und tausend dumme Streiche ausgeheckt, und er war nie erwachsen, nie reif genug geworden, um zu begreifen, daß er brillant genug war, um der Welt tatsächlich Schaden zuzufügen; er würde es nie lernen, vorsichtig zu sein.
    Er griff nach dem Abflußstöpsel. »Weißt du, Edward, ich…«
    Er beendete den Satz nicht mehr. Ich hob die Höhensonne auf, warf sie in die Wanne und sprang vor dem aufschießenden Dampf und den sprühenden Funken zurück. Vergil schrie, schlug um sich und zuckte, und dann war alles reglos und still. Nur das leise, stetige Zischen war noch zu hören, und von seinen Haaren stieg Rauch auf.
    Ich hob den

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