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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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    Ich kann nicht einmal raten, was daraus entstehen wird. Jeder Quadratzentimeter des Planeten wird vor Gedanken brodeln. In ein paar Jahren, vielleicht auch viel eher, werden sie ihre eigene Individualität (soweit es sie gibt) überwinden.
    Dann werden neue Geschöpfe kommen. Ihre Denkfähigkeit wird so immens sein, daß wir sie uns nicht einmal vorstellen können.
    Mein ganzer Haß und all meine Angst sind jetzt verschwunden.
    Mir – uns – bleibt zum Schluß nur eine einzige Frage.
    Wie oft ist das schon anderswo passiert? Noch nie sind Besucher aus dem Raum zur Erde gekommen. Dazu bestand keine Notwendigkeit.
    Sie hatten Universen in Sandkörnern gefunden.
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    Originaltitel: ›BLOOD MUSIC‹ • Copyright © 1983 by Greg Bear • Erstmals erschienen in ›ANALOG – SCIENCE FICTION/SCIENCE FACT‹, Juni 1983 • Copyright © 1990 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Robert

 
DIE HURE
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    Oliver Jones unterschied sich von seinen Brüdern wie die Spreu vom Weizen. Er gönnte ihnen ihre blinde Wildheit. Er lieh ihnen Geld, bis er selbst keines mehr hatte und bedauerte es, aber nicht sehr. Seine Bedürfnisse waren nicht einfach, aber sie hingen nicht am Geld. Er arbeitete in Jobs für Jugendliche, ohne sich zu beklagen, wohl wissend, daß etwas Besseres auf ihn wartete. Manchmal schien es, als wäre er der einzige in der Familie, der fähig war, seiner Mama die Sorgen abzunehmen, nun, da Papa tot war, und sie, selbst mit ihren zwei Babys auf dem Schoß und seiner jüngeren Schwester Yolanda, die bei den Nachbarn schwätzte, einsam war.
    Die Stadt war ihm ein Rätsel. Seine älteren Brüder Denver und Reggie glaubten, daß dies ein Ort war, der überwunden werden müßte, aber Oliver teilte ihre Anschauung nicht. Er wollte die Stadt zu einem Teil von sich machen, sie mit seinem Atem einsaugen, sie in Knochen und Hirn einverleiben. Wenn er zu der Musik der Stadt tanzen konnte, hätte er es geschafft, selbst wenn Denver und Reggie sagten, die Stadt wäre weit und grausam und endlos, daß ihre vier Viertel junge Männer verschlängen und sie als alte Leute wieder ausspeien würden. Sieh doch Papa an, sagten sie, er war dreiundvierzig und ging ins fünfte Viertel, Darkside, ein Sack müder Knochen. Sie sagten, nimm, was du kriegen kannst, solange du es kriegen kannst.
    Das war nicht, was Oliver sah, obwohl er wußte, daß die Stadt grausam und hungrig war.
    Seine Brüder und sogar Yolanda foppten ihn wegen seines Glaubens. Es war mehr als lediglich der Gang zur Kirche, der sie veranlaßte, ihn aufzuziehen, weil sie selbst auch zur Kirche gingen und neben Mama saßen. Reggie und Denver wußten, daß es vorteilhaft war, bei der Andacht gesehen zu werden. Es war nicht seine Musik, die sie lachen ließ, denn er konnte auf dem Klavier genauso hart und schnell spielen wie leise und weich. Sie alle tanzten gern, selbst Mama zuweilen. Es war seine Freundlichkeit. Es war sein Geschmack bei Mädchen, seine Ruhe und sein Fleiß und seine Ehrlichkeit.
    Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien ging Oliver bei Schneefall nach Hause und hielt für eine Weile nachdenklich beim Grab seines Vaters auf dem alten St. John’s Friedhof inne. Umgeben von schuppigen alten Schiefergrabsteinen und neueren aus weißem Marmor, abgenutzt von den Säuretränen der Stadt, dachte er, daß er nun als aufgewachsen betrachtet werden konnte, daß er nun die Familie unterstützen müsse. Er verließ den Friedhof in mürrischer Stimmung und ging zwischen hohen Wohnhäusern aus Back- und Sandstein entlang der schmutzigen, nassen schwarzen Straße. Sein Schatten verlor sich zwischen den größeren Schatten Sleepsides; seine Augen waren auf den Gehsteig gerichtet.
    Denver und Reggie waren nicht in der Lage, gutes Geld beizubringen, Geld, das Mama akzeptieren würde. Yolanda war zu jung, und es war nicht wahrscheinlich, daß sie bald irgendeinen Job bekommen würde. Er blieb übrig, der einzige, der die Schule beenden würde. Er könnte mehr Klavierschüler annehmen, aber er müßte ausziehen, um dies zu tun. Wie sollte er etwas finden, das ihn nicht alles, was er verdiente, an Miete kosten würde? Sleepside war übervölkert.
    Oliver hörte das Geräusch in der Wohnung, als er noch einen halben Block entfernt war. Er rannte die fünf dunklen, abfallbedeckten Treppenabsätze hinauf und zog den Schlüssel hervor, um die drei Schlösser der Tür zu öffnen. Er

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