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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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erschienen in ›OMNI‹ • Copyright © 1997 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Andreas Irle

 
SCHWESTERN
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    »Aber du bist die einzige, Letitia.« Reena Cathcart legte mit einem Blick äußerster Aufrichtigkeit eine leichte, schlanke Hand auf ihre Schulter. »Du weißt, keine der anderen kann es. Ich meine…« Sie hielt inne. Schwach dämmerte ihr der Fauxpas, der ihr unterlaufen war. »Du bist einfach die einzige, die die alte – die ältere – Frau spielen kann.«
    Letitia Blakely blickte auf den Flurboden. Ihr Gesicht wurde heiß. Sie wandte ihren Blick zur Decke und versuchte, keine neuen Tränen zu vergießen. Reena warf ihr langes schwarzes Haar zurück, perfekte Augen in der Farbe von Haselnüssen schauten flehend drein. Einige Nachzügler bummelten den reinlichen und mit Teppich ausgelegten Flur des neuen Schulflügels hinunter zu ihren Klassen. »Wir kommen zu spät zur ersten Stunde«, sagte Letitia. »Warum die alte Frau? Warum bist du nicht zu mir gekommen, als noch andere Rollen zu besetzen waren?«
    Reena war zu gerissen, um nicht zu wissen, was sie tat. Gerissen, aber nicht übermäßig feinfühlig. »Du bist eben der Typ dafür.«
    »Meinst du gruftig?«
    Reena reagierte nicht. Sie war erpicht auf ein Ja, der perfekten Lösung ihrer Probleme.
    »Oder nur untersetzt?«
    »Du solltest dich wegen deines Aussehens nicht schämen.«
    »Ich sehe gruftig und untersetzt aus! Ich bin perfekt für die alte Frau in deinem verlogenen Stück geeignet, und du bist die einzige, die den Mut hat, mich zu fragen.«
    »Wir wollen dir eine Chance geben. Du bist eine solche Einzelgängerin und wir wollten, daß dich fühlst wie ein Teil…«
    »Bullshit!« Die Tränen begannen nun doch hervorzuquellen, und Reena wich zurück. »Laß mich in Ruhe. Laß mich nur in Ruhe.«
    »Kein Grund zum Fluchen.« Verdrießlich, beleidigt.
    Letitia hob die Hand, als wolle sie zuschlagen. Reena schwang herausfordernd ihr Haar und wandte sich ab, um zu gehen. Letitia lehnte sich gegen die geflieste Wand und wischte sich die Augen ab, wobei sie versuchte, ihr sorgfältig aufgetragenes Make-up nicht zu verschmieren. Der Schaden war allerdings bereits angerichtet. Sie spürte die Tränenspuren durch die Wimperntusche ihrer Mutter und den verschmierten Lidschatten. Mit einem Seufzen ging sie zum Waschraum, ohne darauf zu achten, wie spät sie dran war. Sie wollte nach Hause gehen.
    Fünfzehn Minuten nach dem Schellen erreichte Letitia ihre Klasse und war überrascht, die Schüler in einer selbstgeregelten Diskussion vorzufinden, ohne eine Spur von Mr. Brant. Einige aus Reenas Drama-Gruppe warfen ihr frostige Blicke zu, als sie ihren Platz einnahm.
    »AV«, sagte Edna Corman im Flüsterton von der anderen Seite des Gangs aus.
    »RK dich«, erwiderte Letitia, nickte zur Seite und paßte ihren Ton dem Ednas genau an. Sie klopfte John Lockwood auf die Schulter. Lockwood kümmerte sich nicht besonders um Geselligkeit. Er bemerkte nur selten, wenn etwas um ihn herum vorging. »Wo ist Mr. Brant?«
    »Georgia Fischer hat geblitzt, und er bringt sie zum Rat. Er hat gesagt, wir sollen hierbleiben und weitermachen.«
    »Oh.« Georgia Fischer war vor zwei Monaten aus einer Begabten-Klasse in Oakland hierher versetzt worden. Sie war intelligenter als die meisten anderen, aber etwa alle zwei Wochen hatte sie einen Blitz. »Vielleicht bin ich fett und häßlich«, sagte Letitia in Lockwoods Ohr, »aber ich habe noch nie geblitzt.«
    »Ich auch nicht«, sagte Lockwood. Er war ein VEK, genau wie Georgia, aber kein Begabter. Letitia mochte ihn, aber nicht genug, um sich durch ihn bedroht zu fühlen. »Besser weitermachen.«
    Letitia lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Ihr Mod sprang an und Projektionen tanzten vor ihr und stabilisierten sich. Sie hatte sich nun seit einer Woche beharrlich mit Patienten-Psychologie vollgestopft und näherte sich nun der Schwelle. Die kleine Computergraphik-Schwester in Weiß mit Schwesternhäubchen begann die Erörterung der Patientenpflege. Für Letitia schien dies alles sehr AV zu sein. Wer starb jetzt überhaupt noch an Krankheiten? Sie traf eine Entscheidung und ließ sich von derselben CG-Schwester den RoR-Schock – Ersatz und Erholung – erklären. Was sie wirklich studieren wollte, war Kolonie-Medizin, aber wie könnte sie es je nach Dort Draußen schaffen?
    Einige VEKs

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