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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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stehen, wo sie war, während Tuthy durch das hindurchging, was vom Büro übriggeblieben war, und sich mit der Hand durch sein in Unordnung geratenes Haar fuhr.
    »Vielleicht kommt er zurück«, sagte Tuthy. »Ich weiß nicht einmal…« Aber er beendete den Satz nicht. Konnte ein dreidimensionaler Junge in einer vierdimensionalen Leere, oder was auch immer uben oder onten – lag, überleben?
     
    Tuthy wandte nichts ein, als Lauren es auf sich nahm, die Pflegeeltern und die Polizei anzurufen. Als die Polizei ankam, ließ er die Befragungen und Beschuldigungen stoisch und mit unbeweglichem Gesicht über sich ergehen und erzählte soviel, wie er wußte. Ihm wurde kein Glauben geschenkt; niemand wußte recht, was er glauben sollte. Es wurden Fotos gemacht. Die Polizei zog ab.
    Es war nur eine Frage der Zeit, sagte Lauren zu ihm, bis einer von ihnen oder sie alle beide in Haft genommen würden. »Dann denken wir uns eine Geschichte aus«, sagte er. »Du sagst ihnen, es war meine Schuld.«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte Lauren. »Aber wo ist er?«
    »Ich bin nicht sicher«, sagte Tuthy. »Ich glaube jedenfalls, daß es ihm gut geht.«
    »Woher weißt du das?«
    Er erzählte ihr von dem Traum.
    »Aber das war vorher«, sagte sie.
    »In der vierten Dimension absolut zulässig«, erklärte er. Er deutete vage nach oben, dann hinunter und zuckte die Achseln.
     
    Am letzten Tag verbrachte Tuthy die frühen Morgenstunden in einen Mantel und einen Bademantel gewickelt im zugigen Büro, spielte immer wieder sein Programm ab und versuchte, ana und kata zu visualisieren. Er schloß die Augen, blinzelte und verdrehte den Kopf, verschränkte die Finger und zeichnete seltsame kleine Schaubilder auf den Monitoren, aber es hatte keinen Zweck. Sein Gehirn war festgefahren.
    Beim Frühstück wiederholte er Lauren gegenüber, daß sie ihm alle Schuld geben müßte.
    »Vielleicht legt sich das alles über kurz oder lang«, sagte sie. »Sie haben kein Belastungsmaterial. Keinen Beweis… nichts.«
    »Über kurz oder lang«, sagte er sinnend, fuhr mit der Hand über den Kopf und grinste ironisch. »Wie über, werden sie wohl nie wissen.«
    Die Türglocke läutete. Tuthy ging, um nachzuschauen, und Lauren folgte einige Schritte hinter ihm.
    Tuthy öffnete die Tür. Drei Männer in grauen Anzügen, einer mit einer Aktentasche, standen auf der Veranda. »Mr. Peter Thornton?« fragte der größte von ihnen.
    »Ja«, gestand Tuthy.
    Ein großes Stück des Türrahmens und der Mauer darüber verschwand mit einem Tosen und einem zischenden Plopp. Die drei Männer blickten zu der Lücke auf. Nicht beachtend, was ohnehin unmöglich war, wandte der Sprecher seine Aufmerksamkeit wieder Tuthy zu und fuhr fort: »Wir haben Informationen dahingehend, daß Sie sich illegal in diesem Land aufhalten.«
    »Oh?« sagte Tuthy.
    Neben ihm wuchs ein unregelmäßiger, zarter, blauer Zylinder zu einer Länge von anderthalb Metern an und blieb vibrierend in der Luft hängen. Die drei Männer wichen zurück. In der Mitte des Zylinders tauchte Pals Kopf auf und darunter sein ausgestreckter Arm und seine Hand.
    »Es macht Spaß hier«, sagte Pal. »Sie sind freundlich.«
    »Ich glaube dir«, sagte Tuthy.
    »Mr. Thornton«, fuhr der Sprecher kühn fort.
    »Wollen Sie nicht mit mir kommen?« fragte Pal.
    Tuthy blickte sich nach Lauren um. Sie deutete ein Nicken an, kaum verstehend, wozu sie ihre Zustimmung gab und er nahm Pals Hand. »Sag ihnen, es war mein Fehler«, sagte er.
    Von Kopf bis Fuß wurde Peter Tuthy aus dieser Welt geschält. Luft wirbelte herein. Die Hälfte der Messinglampe neben der Tür verschwand.
    Die Behörden-Leute kehrten mit feuchten Hosen und verlegenen, tief besorgten Ausdrücken ohne weitere Fragen zu ihrem Wagen zurück. Sie fuhren fort, verließen Lauren, die die Stille betrachtete. Sie kamen nicht wieder.
    Sie schlief die nächsten drei Nächte nicht, und als sie schlief, besuchten Tuthy und Pal sie und stellten ihr die Frage.
    Vielen Dank, aber ich ziehe es vor, hierzubleiben, antwortete sie.
    Es ist ein Riesenspaß, beharrte der Junge. Sie mögen Musik.
    Lauren schüttelte den Kopf und wachte auf. Nicht sehr weit entfernt war ein Pfeifen zu hören, ein blechernes Geräusch, gefolgt von einer tiefen Vibration.
    Für sie klang es wie Applaus.
    Sie holte tief Luft, schwang die Beine aus dem Bett und stand auf, um ihr Notizbuch zur Hand zu nehmen.
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    Originaltitel: ›TANGENTS‹ • Copyright © 1986 by Greg Bear • Erstmals

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