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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wurden. Sie haßte es, Strafpredigten hören zu müssen.
    »Junge Frau, du trägst einen gigantischen Chip auf deiner Schulter.«
    »Um so mehr Computerkapazität für mich.«
    »Sei ruhig und hör zu. Uns allen ist es erlaubt, die Politik zu kritisieren, wer auch immer sie macht. Ämterwürden und Respekt vor Übergeordneten haben sich im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht gut gehalten. Die Leute müssen sich ihren Respekt verdienen. Das gilt auch für Studenten. Der durchschnittliche Student hier hat vier wichtige Talente, von denen jedes in eine öffentliche Planungspolitik paßt, die ihnen einen Job, der zwei oder mehr dieser Talente miteinander verbindet, garantiert. Sie werden nicht gezwungen, diese Jobs anzunehmen, und wenn sie zaudern, bleiben sie vielleicht nicht in diesen Jobs. Aber die Öffentlichkeit hat versucht, einem jeden von uns eine qualitative Beschäftigungsmöglichkeit zu garantieren. Das gilt für dich genauso. Du bist SNG, aber du zeigst genausoviel Intelligenz und zumindest genausoviele entwicklungsfähige Talente wie die VEKs. Du bist jung, und dein Reifeplan ist ein natürlicher – aber du bist nicht geringer oder schwächer, Letitia. Das ist mehr, als man von den Abkömmlingen einiger Eltern behaupten kann, die noch zurückhaltender waren als deine. Dir wurde zumindest pränatale Pflege und Ernährungsmodifikation zuteil, und deine Eltern haben die Biotechniker deine Allergien korrigieren lassen.«
    »Also?«
    »Für dich ist es also eine Sache des Willens. Wenn dein Willen schwankt, wird dir nicht mehr Beachtung geschenkt, als einem VEK. Du mußt zwischen den sekundären und tertiären Beschäftigungen wählen oder sogar…« Die AR hielt inne. »Öffentliche Unterstützung. Willst du das?«
    »Meine Noten sind gut. Ich komme gut zurecht.«
    »Du wählst Karrieretraining, das nicht deinen entwicklungsfähigen Talenten entspricht.«
    »Ich mag Medizin.«
    »Du bist empfindlich.«
    Letitia zuckte die Achseln.
    »Und man kommt nicht leicht mit dir aus.«
    »Dann sag ihnen, sie sollen aufhören. Ich werde umgänglich sein… aber ich will nicht, daß sie mich wie einen Freak behandeln. Edna Corman rief mich…« Sie hielt inne. Dies könnte Edna Corman in eine Menge Schwierigkeiten einbringen. Unter den Studenten war AV ein beiläufiges Attribut; angewandt auf einen NG, konnte es für die Schulbehörden der Grund für einen Eintrag in Cormans Akte sein. »Nichts. Nicht wichtig.«
    Der AR schaltete auf niedrigere Autorität, und Tempesinos Gesicht nahm einen anderen Beratungsausdruck an. »Gut. Berichtigungen sind auf beiden Seiten notwendig. Danke, daß du vorbeigeschaut hast, Letitia.«
    »Yeah. Ich möchte immer noch mit Rutger reden.«
    »Die Anfrage wurde notiert. Bitte kehre nun zum Unterricht zurück.«
     
    »Gib acht, wenn dein Bruder redet«, sagte Jane. Roald machte sich selbst zur Last, indem er von seinem Vor-Flug-Training schwätzte, das er in der Grundschule bekam. Letitia brachte ein oder zwei Kommentare an und fiel in die Betrachtung ihres Essens vor ihr zurück. Sie aß nicht. Jane beobachtete sie aus den Augenwinkeln und reichte eine Schüssel mit gezuckerten Beeren herum. »Was nagt an dir?«
    »Ich nage selbst«, sagte Letitia schelmisch.
    »Ha«, sagte Roald. »Volle Ladung von dieser Seite.« Er grinste sie an, seine beiden Vorderzähne fehlten. Er sah abscheulich aus, dachte sie. Jede andere Familie hätte ihm Ersatz beschafft, nicht jedoch ihre.
    »Ein wenig mehr Respekt, ihr beiden«, sagte Donald. Ihr Vater nahm Roald die Schüssel weg und schaufelte eine bescheidene Portion in seine Tasse. Dann setzte er sich neben Letitia. »Ganze fünfzehn und ganze acht.« Dies war seine Predigt; sich erwachsen verhalten, ob nun mit acht oder mit fünfzehn.
    »Autoratgeber heute?« fragte Jane. Sie kannte Letitia viel zu gut.
    »AR«, bestätigte Letitia.
    »Bist du reingegangen?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ich bin nicht eingestellt.«
    »Das heißt?« fragte Donald.
    »Das heißt, sie zischt und knattert«, sagte Roald mit dem Mund voller Beeren und über das Kinn laufenden Saft. Er wölbte die Hand darunter und schlürfte ihn lautstark auf. Jane langte vor und wischte mit einer Serviette nach. »Sie beschwert sich«, schloß Roald.
    »Worüber?«
    Letitia schüttelte ihren Kopf und antwortete nicht.
    Das Dessert war beinahe beendet, als Letitia beide Handflächen auf den Tisch schlug. »Warum habt ihr das getan?«
    »Warum haben wir was getan?« fragte ihr Vater

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