Tango Mosel
Uniformmütze. Walde hob grüßend die Hand und wendete sich wieder dem Opfer zu. In der Innentasche der Jacke des Toten ertastete er etwas flaches Rundes, das sich als Taschenuhr an einer Kette herausstellte, außerdem fand er einen Schlüsselbund und Kleingeld. Nirgendwo waren Ausweispapiere.
Von oben hörte Walde Trittgeräusche. Dr. Hoffmann kam, immer beide Füße auf jeder Sprosse absetzend, die Leiter herunter. Er hielt sich nur mit einer Hand fest, in der anderen trug er eine dickbauchige Tasche. Über ihm schalteten sich gleichzeitig alle Laternen aus. Nur das Blaulicht blinkte noch.
»Morgen!« Die Stimme des Gerichtsmediziners klang gut gelaunt. »Interessanter Fundort.« Er schaute sich um und stellte die Tasche oberhalb der Leiter auf einem zwischen den Steinplatten wuchernden Büschel Unkraut ab, das notdürftigen Halt versprach.
Walde nickte. »Morgen, Herr Doktor.«
»Bitte etwas mehr Seil!«, rief Dr. Hoffmann nach oben, wo der Feuerwehrmann das Seil sicherte.
Als der Mediziner die Decke von der Leiche anhob, fuhr ein Windstoß darunter. Walde traute sich nicht, danach zu greifen, weil er fürchtete, den Halt zu verlieren, obwohl er spürte, dass sein Sicherungsseil straff gespannt war.
Hoffmann knüllte die Decke zusammen und stopfte sie unter die Leiter, ohne den Blick von der Person zu lassen, die Walde von der Kleidung her an Menschen auf einer Abendgesellschaft in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts denken ließ. Um die Taille trug der Tote eine enge dunkle Schärpe.
»Mopedfahrer oder Dirigent, nehme ich mal an.« Der Arzt rieb den seidenähnlichen Stoff zwischen Mittelfinger und Daumen. »Moped möchte ich mal ausschließen.«
Er beugte sich vor und tastete den Oberkörper des Mannes ab.
Das Brummen eines schweren Dieselmotors lenkte sie ab. Ein riesiger Schubverband näherte sich. Stumm beobachteten die beiden Männer, wie er auf ihren Pfeiler zuschoss und sich dann unter dem Bogen flussabwärts bewegte.
»Ich wundere mich, dass die Brücke zweitausend Jahre überstehen konnte«, sagte Walde.
»Achtzehnhundert Jahre«, korrigierte der Gerichtsmediziner. »Und sie ist obendrein als einzige Moselbrücke vor dem Einmarsch der Amerikaner nicht gesprengt worden.«
Von oben ertönte ein Pfiff. Sattlers Kopf erschien über dem Geländer: »Können wir runterkommen?«
»Wo, bitte schön, wollt ihr denn hier noch hin?«, rief der Arzt und wies mit einer Armbewegung auf das Plateau, das neben dem Opfer kaum Platz für Walde und ihn selbst bot.
Hoffmann fuhr mit der Untersuchung fort.
Walde duckte sich instinktiv, als eine große Möwe über ihn hinwegflog und nebenan auf dem Pfeiler landete, von wo aus sie die beiden beobachtete.
»Fürs Erste sieht es nach nichts anderem als Sturzverletzungen aus«, sagte der Gerichtsmediziner. »Weiteres wird die Obduktion ergeben.«
»Springt hier ein Selbstmörder?«, fragte Walde.
»Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass diese Leute flussabwärts runterspringen und vielleicht auch noch vorher runtergucken, ob da auch wirklich Wasser ist.«
»Und dann bleibt er auch noch ausgerechnet auf dem Pfeiler liegen?«
»Bei einem Sprung in gerader Körperhaltung wäre er sicher vom Pfeiler in die Mosel gefallen.«
»Er muss also eine Art Startsprung hingelegt haben.«
»Anders kann ich mir die Position nicht erklären«, sagte Hoffmann. »Wobei ich den Startsprung, um ihren Begriff aufzunehmen, so konkretisieren möchte, dass die Person zum Rückenschwimmen ansetzen wollte. Schließlich ist er auf dem Rücken gelandet.«
»Er könnte sich auch in der Luft gedreht haben.«
»Möglich.« Der Gerichtsmediziner wischte sich den Schmutz vom Knie, packte seine unbenutzte Tasche und tastete sich vorsichtig zur Leiter.
Oben auf der Brücke angelangt, fühlte sich Walde, als habe er nach einer Bootsfahrt auf stürmischer See wieder festen Boden unter den Füßen. Seine Anspannung ließ nach, während er Grabbe kurz über das ins Bild setzte, was er unten gesehen hatte.
»Ich fahre dann mal nach Hause zum Duschen«, verabschiedete sich Walde von seinem Kollegen, während Sattler sich mit seinem Team von der Kriminaltechnik, das bereits das Brückengeländer untersucht hatte, auf den Weg nach unten machte. »Die KT soll auch Fotos von der Kleidung des Mannes machen.«
Im Bad rauschte Wasser. Walde legte die Brötchentüte auf den Küchentisch. Mit dem Futter in der Hand ging er auf die Terrasse, wohin ihm die Katze aus dem Wohnzimmer
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