Tannöd
schaut auf jede Minute, dem müsstest eher
noch was geben, der verhungert noch mit dem Stückl Brot im
Mund.
Bei der Maschine war die
Zylinderkopfdichtung kaputt, hatte ich mir gleich schon gedacht.
Die auszuwechseln, das dauert.
Seinerzeit im Sommer hatte ich dem
alten Danner schon angeboten, er soll sich doch eine neuere
Maschine kaufen und die alte in Zahlung geben. War ja noch ein
Vorkriegsmodell, wollte der Geizhals aber nicht, obwohl so was
heutzutage gang und gäbe ist. Auf dem Hof war immer noch
keiner zu sehen. Mir war das Ganze langsam unheimlich. Die Tür
zum Motorhäuschen habe ich deshalb auch ganz weit offen
gelassen. Erstens hatte ich so mehr Licht zum Arbeiten und zweitens
konnte ein jeder gleich sehen, dass ich bereits dabei war, den
Motor zu reparieren. Ich war schon fast fertig, wollte nur noch
eine Schraubenmutter wieder dranschrauben, rutscht die mir doch
glatt durch die Finger und rollt direkt in die
Wassergrube.
In dem Häusl war so eine alte
Wassergrube zum Milch kaltstellen, für die vollen Milchkannen.
Gott sei Dank war in der kein Wasser, die war leer. Ich steige also
runter in die Grube. Die sind nicht tief, gehen mir vielleicht bis
zum Oberschenkel, wenn überhaupt, und hole meine
Schraubenmutter heraus. Genau in dem Augenblick, in dem ich mich
bücke, um nach der Mutter zu suchen, war mir, als huscht da
ein Schatten vorbei. Sehen konnte ich es nicht, es war mehr so ein
Gefühl. Eine innere Stimme, die einem sagt, da ist einer, auch
wenn man die betreffende Person nicht sieht. Aber sie ist da, man
spürt es, da ist einer. Ich sofort raus aus der Grube.
»Hallo, ist da jemand? Hallo!«, hab ich gerufen. Aber
keine Antwort. Mir war bisher schon nicht richtig wohl, jetzt war
mir der Hof bloß noch unheimlich. Und dieses ständige
Gebelle von dem Köter, den man nicht sieht.
So schnell es ging, hab ich darum
die Schrauben angezogen und mein Werkzeug eingepackt. Den Motor
Probelaufen lassen und danach aber nichts wie weg. Das
Vorhängeschloss habe ich wieder an seine alte Stelle montiert.
Meine Sachen aufs Rad und ab durch die Mitte.
Wie ich so ums Haus schiebe, ist
immer noch keiner zu sehen. Nur die Tür zum alten
Maschinenschuppen ist offen, das war vorher nicht. Da bin ich mir
absolut sicher.
Ich denk mir, vielleicht ist ja
doch einer da? Stelle darum mein Rad noch mal ab und gehe die paar
Schritte rüber in den Schuppen.
»Hallo, ist da
einer?«, habe ich gerufen, aber auch diesmal keine Antwort.
Nichts.
Weiter in den Schuppen hinein
wollte ich nicht gehen, es kam mir irgendwie nicht geheuer vor. Ich
bin noch an der Haustüre vorbei und hab an der gerüttelt,
aber die war versperrt. Nichts hätte mich auf diesem Hof mehr
halten können. Froh war ich, dort wegzukommen. Kurz nach zwei
Uhr muss ich fertig gewesen sein, denn auf dem Rückweg ins
Dorf habe ich die Kirchenglocke »halb« schlagen
hören.
Auf dem Acker, ob ich da noch
jemanden gesehen habe? Nein, gesehen hab ich da keinen. Da waren
nur ein paar Krähen. War auch kein Wunder, bei diesem Wetter.
Es hat wieder zu nieseln angefangen, ganz leicht. Ich bin geradelt,
als ob der Teufel hinter mir her wäre.
Die ganze Fahrt über, weg vom
Hof, habe ich mir gedacht: »Wenn doch einer auf dem Hof war,
der hätte den Motorenlärm hören müssen. Das
geht gar nicht anders.«
Ich habe mich bestimmt geirrt, da
war niemand, aber der Schatten, meine innere Stimme, das
Gefühl, ich weiß nicht.
Bei meinem Kundentermin in
Elnhausen drüben habe ich denen nachher die Geschichte
erzählt, weil sie mir nicht aus dem Kopf wollte.
Über fünf Stunden war
ich auf dem Hof, bei dem Danner in Tannöd, und keiner ist
gekommen. Fünf Stunden alleine auf dem Hof, ohne eine
Menschenseele zu sehen.
Die Brunnerin in Elnhausen, die
hat die Geschichte auch sehr seltsam gefunden, »schon wegen
dem kleinen Buben, den die in Tannöd haben. So ein Kind muss
doch schlafen und etwas essen«, hat sie gesagt. »Da
kann einer doch nicht den ganzen Tag
rumzigeunern.«
Ihr Mann meinte aber nur:
»Die sind bestimmt im Holz, das braucht eben seine
Zeit.«
Das Messer. Wo ist das Messer,
sein Taschenmesser? Er trägt es immer bei sich, in der
Gesäßtasche. Eine feste Gewohnheit seit jenem Tag, als
er sein Messer geschenkt bekommen hat. Am Tag seiner Firmung. Er
kann sich noch genau erinnern, am Tag seiner Firmung bekam er es.
Das Geschenk seines Firmpaten. Ein Klappmesser, ein
wunderschönes, handliches Messer mit brauner Griffschale. In
einer
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