Tante Dimity und der Fremde im Schnee
Streifen aus grob geschliffenem Stein durchbrochen, die Kirchenfenster leuchteten in einem wirren Gemisch aus orangefarbenen und blauen Facetten. Und doch gelang es dem Bau, eine gewisse Würde auszustrahlen, die den tristen Nachkriegsbauten in der Umgebung auf ewig verwehrt bleiben würde.
Ich bezahlte den Taxifahrer und ging rasch auf einen Seiteneingang zu, wo zwei Männer standen. Sie rauchten Zigaretten und traten von einem Fuß auf den anderen, um sich aufzuwärmen. Sie sahen so aus, wie Kit ausgesehen hatte, schmierige Regenmäntel und löcherige Hosen, und als ich sie fragte, wo ich Vater Raymond finden könnten, klangen ihre Stimmen so rau wie die von Rupert.
»Versuchen Sie’s in der Suppenküche«, sagte der eine und deutete mit seinem stoppeligen Kinn in Richtung Tür.
»Treppe runter«, knurrte der andere.
»Danke«, sagte ich und hastete hinein. Ich wappnete mich innerlich für eine erneute Reise durch dunkle und feuchte Flure, die nur von ein paar umherschwirrenden Küchenschaben und dem Geräusch winziger Klauenfüße belebt wurden.
Zu meiner Überraschung – und enormen Erleichterung – ähnelte Sankt Joseph in keiner Weise Sankt Benedikt. Das große Foyer, die breite Treppe und der geflieste Gang, der zum Speisesaal im Untergeschoss führte, alles war weiß gestrichen und hell erleuchtet, und statt des Geruchs von gekochtem Kohl hing der Duft von gebratenem Truthahn in der Luft.
Der Speisesaal machte ebenfalls einen ausgezeichneten Eindruck, die Wände waren mit Girlanden, silbernen Glöckchen und blinkenden Lichtern geschmückt. In einer Ecke ragte ein farbenfroh geschmückter, künstlicher Weihnachtsbaum in die Höhe. Eine Putzkolonne war gerade dabei, die Spuren der letzten Mahlzeit des Tages zu beseitigen. Unter ihnen befand sich auch Julian. Er hielt einen nassen Lappen in der Hand und hatte die Ärmel seines Rollkragenpullovers hochgerollt.
»Lori?«, sagte er erstaunt, als sei ich eine Erscheinung. »Was machen Sie hier?«
Ich schulterte die Reisetasche und ging auf ihn zu. »Ich konnte einfach nicht zu Hause bleiben.«
Er runzelte die Stirn. »Aber was wird aus der
…«
»Familientradition?«, führte ich fort. »Darum kümmere ich mich, wenn ich zurück bin.« Ich zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Was ist mit Philip Raywood? Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
»Noch nicht. Er hält die Abendandacht in der Marienkapelle.« Julian beugte sich mit einem amüsierten Lächeln zu mir. »Anglikanische Hochkirche, sage ich nur. Ich fühle mich fast wie zu Hause.«
»Also, ich kann schlecht hier rumstehen, während alle anderen arbeiten«, sagte ich und knöpfte den Mantel auf. »Zeigen Sie mir, wo ich meine Sachen lassen kann und was ich tun soll.«
Eine halbe Stunde später saßen Julian und ich allein in der Küche und tranken eine wohlverdiente Tasse Tee. Die Putzkolonne war gegangen, alles blitzte vor Sauberkeit. Julians Blick glitt über die Theken aus Edelstahl und die Gerä te, die Gastronomie-Qualität besaßen, und seufzte betrübt.
»Ich muss Ihnen etwas beichten«, sagte er.
»Ich begehre Vater Raywoods Küche.«
»Ich vergebe dir, mein Sohn.« Die gut geölten Schwingtüren öffneten sich, und ein Mann schwebte mit ausgestreckten Händen herein.
»Philip Raywood«, stellte er sich vor.
Das war fast überflüssig, denn im Gegensatz zu Julian sah Vater Raywood auch aus wie ein Priester. Er trug eine knöchellange Soutane und den Priesterkragen. Sein Äußeres schien wie geschaffen für das Gewand. Er war groß und hager, dabei recht robust, sein Haar hatte eine natürliche Tonsur, und er trug eine Brille mit Drahtgestell.
»Es tut mir leid, dass Sie warten mussten«, sagte er, nachdem Julian und ich uns vorgestellt hatten. »Man sagte mir, Sie hätten Neuigkeiten von Christopher Smith. Es geht ihm doch gut?«
»Leider nicht«, antwortete Julian. »Er liegt im Krankenhaus, und sein Zustand ist ernst.«
»Gott schütze ihn.« Kaum hatte er das gesagt, warf Vater Raywood einen Blick durch die Kü che, als wolle er prüfen, ob noch alles da war.
»Mein Assistent, Vater Danos, wird sich in Kürze zu uns gesellen, ich wäre Ihnen dankbar – ah, Andrew, da sind Sie ja schon.«
Ein zweiter anglikanischer Priester hatte die Küche betreten. Andrew Danos war jünger, kleiner und weichlicher als Vater Raywood, auch er trug die traditionelle Priesterkleidung. Er schüttelte Julian und mir die Hand, dann zog er zwei Stühle an den Tisch heran und goss Vater
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