Tante Dimity und der unheimliche Sturm
glimmenden braunen Augen ablenken würde.
»Dimity?«, sagte ich. Eine willkommene Ruhe überkam mich, als die vertrauten königsblauen Schleifen und Bögen auf der weißen Seite sichtbar wurden.
Guten Abend , Lori . Warst du erfolgreich mit deiner Suche nach Beweisen?
Verlegen zog ich den Kopf ein, um dann energisch jeglichen haltlosen Verdacht beiseitezuschieben, den ich in Bezug auf Wendy gehegt hatte.
»Ich habe rein gar nichts gefunden«, bekannte ich, »denn es gibt nichts zu finden. Catchpole hat mich angelogen, als er mir erzählte …« Ich unterbrach mich, als Dimitys Handschrift über die weiße Seite hastete.
Habe ich dich richtig verstanden , Lori? Hast du den Namen Catchpole erwähnt?
»Ja, er ist der alte Verwalter. Du weißt schon, der in dem Cottage wohnt. Seine Familie arbeitet seit Urzeiten auf Ladythorne, doch er ist der Einzige, der übrig geblieben ist, und ich fürchte, er hat den Verstand verloren. Als wir hier ankamen, hat er uns mit einer Flinte in Schach gehalten, doch plötzlich zeigte er sich von seiner netten, hilfsbereiten Seite, um mich heute Morgen anzulügen, indem er mir die Geschichte mit dem Licht auf dem Speicher auftischte, das er …« Als Dimitys Handschrift abermals fortfuhr, unterbrach ich meinen Redefluss.
Interessant . Höchst interessant . Die Schrift hielt einen Moment inne, so als müsste Dimity erst meine Information verdauen, ehe sie fortfuhr: Lucasta hat mir einmal von der Familie Catchpole erzählt . Sie sagte , dass sie sie furchtbar vermisse und hoffe , dass sie wieder zurückkämen . Es ist unglaublich und gleichzeitig äu ßerst berührend , nun zu erfahren , dass ein Familienmitglied noch immer auf dem Grundstück der Abtei lebt , wie exzentrisch es auch sein mag .
Und nun war es an mir, mich zu wundern, denn das, was Dimity mir erzählt hatte, war höchst bedeutsam. Wenn sie mit Lucasta gesprochen hatte, dann hieß das, dass sie die Frau persönlich kannte, was wiederum bedeutete, dass sie mir eine zuverlässige und persönliche Einschätzung in Bezug auf ihr Verhalten und ihren Charakter geben konnte.
Dankbar für die Ablenkung, sank ich tiefer in den bequemen Sessel. Ich rief mir all die merkwürdigen Dinge ins Gedächtnis zurück, die Catchpole mir über Lucasta Eleanora DeClerke erzählt hatte – die Enkelin von Grundy und Rose, die Erbin des gesamten Familienvermögens, den letzten Spross des Geschlechts, die Frau, die junge Verlobte, deren Herz gebrochen war und deren Träume von einer Hochzeit für immer zerrannen, die mutige junge Frau, die Ladythorne in ein Refugium für verwundete Soldaten verwandelte und die letzten Jahre ihres Lebens allein in einem Zimmer verbrachte, voller Hass und unzählige Briefe nach Amerika schickend.
»Du hast mit Lucasta DeClerke gesprochen?«, fragte ich, als ich wieder aus meinen Gedanken auftauchte. »Ich dachte, sie hätte wie eine Einsiedlerin gelebt. Also kanntest du sie?«
Ich bin ihr bei einigen wenigen Gelegenheiten begegnet . Während des Krieges schickte mich der befehlshabende Offizier von London hier herauf , um Informationen über britische Luftwaffenoffiziere zu sammeln , die zur Genesung auf Ladythorne waren . Damals war Lucasta noch keine Einsiedlerin , im Gegenteil . Sie war äußerst gastfreundlich . Als ich ihr erzählte , dass ich aus Finch stamme , hieß sie mich wie eine Nachbarin willkommen . Von ihr habe ich die Geschichte des Landsitzes und der Familie DeClerke erfahren . Dank ihrer wurden die Tage , die ich auf Ladythorne verbrachte , zu den angenehmsten während des Kriegs .
Vor dem Fenster pfiff der Wind. Gedankenverloren hob ich den Blick vom Notizbuch und sah ins Kaminfeuer. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir die junge Frau, die sich aus dem kecken Mädchen auf dem Foto in Catchpoles Cottage entwickelt hatte, gut vorstellen. Und wenn ich mich weiter konzentrierte, sah ich auch Dimity in ihrer adretten Uniform vor meinem geistigen Auge, wie sie Arm in Arm mit der geschäftigen Erbin im Haus herumging, wenn sie die Krankenbetten inspizierte, die mit dem Familienleinen bezogen waren, und die Mahlzeiten, die auf dem Familienporzellan serviert wurden.
Dimity war sicherlich fasziniert von der Geschichte, von Grundy DeClerkes kometenhaftem Aufstieg, beeindruckt von der Hingabe, mit der Lucasta sich den Kranken widmete, und dankbar für die Atempause, so kurz sie auch sein mochte, die ihr während der gefahrvollen Tage der Luftangriffe auf London hier vergönnt waren.
»Wie
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