Tante Dimity und der unheimliche Sturm
dazu angetan, die Kaskade aus Diamanten zur Geltung zu bringen, die sich aus dem Kropfband ergoss.
»Und die Ohrringe hatten die Größe meines Daumennagels«, murmelte ich. Mit einem Ruck setzte ich mich auf. »Ich glaube, ich habe sie gesehen, Dimity. Ich glaube, ich habe die Pfauen-Parure gesehen. Nicht in Wirklichkeit natürlich, sondern auf einer Fotografie.« Dann beschrieb ich ihr das maroquingebundene Fotoalbum, das Jamie in der Bibliothek gefunden hatte, mit den Erinnerungsfotos des Balls, den die DeClerkes zu Ehren des diamantenen Jubiläums von Königin Victoria gegeben hatten. »Da waren auch Pfauen auf dem Foto, also muss es sich bei dem Schmuck, den sie trug, tatsächlich um die Pfauen-Parure handeln mit Diamanten wegen des diamantenen Jubiläums«, schloss ich. »Könnte es romantischer sein?«
Die Parure wurde jedenfalls zu einem hochgeschätzten Familienerbstück , Lori . Lucastas Mutter wurde es an ihrem Hochzeitstag überreicht , und Lucasta sollte es ihrerseits an ihrem Hochzeitstag bekommen , hätte der glücklichste Tag in ihrem Leben je stattgefunden . Die Pfauen-Parure war nicht nur ein materieller Besitz , meine Liebe .
Es war ein Symbol für all das , was Lucasta verloren hatte – die gemeinsame Vergangenheit mit ihrem Vater , die Zukunft , die sie , wie sie gehofft hatte , mit ihrem Mann haben würde . Der Verlust muss sie bis ins Mark getroffen haben .
»Aber warum hat sie dann nicht mit den Behörden kooperiert?«, fragte ich mit leichter Ungeduld. »Warum hat sie niemandem gezeigt, wo das Geschmeide aufbewahrt worden war? Warum hat sie sich keinen Rechtsanwalt als Beistand genommen? Also wenn die Juwelen ihrer Großmutter ihr so viel bedeuteten, warum hat sie dann nicht alles unternommen, um sie zurückzubekommen? Es sei denn …« Meine Stimme erstarb, als eine beunruhigende Idee meinen Gedankenstrom kreuzte.
Dimity war mir einen Schritt voraus. Es sei denn , die Parure wurde gar nicht gestohlen . Es sei denn , Lucasta hat den Diebstahl aus irgendeinem Grund erfunden . Wolltest du das sagen?
»Ich bin mir nicht sicher. Lass mich eine Minute nachdenken.«
Ich starrte ins Feuer, während ich versuchte, mich in Lucastas Lage zu versetzen. Der Krieg näherte sich dem Ende. Das Genesungsheim für verwundete Offiziere hätte früher oder später seine Pforten geschlossen, egal, was ich tat. Ich hatte bereits meinen Vater und meinen Verlobten verloren. Nun war ich drauf und dran, das zu verlieren, was zu meiner Mission geworden war.
Was sollte ich als Nächstes tun?
»Könnte es sein, Dimity?« Ich zögerte noch, den unerhörten Verdacht auszusprechen. »Ist es möglich, dass sie … die ganze Geschichte erfunden hat? Das würde erklären, warum sie keinen Rechtsanwalt nahm oder den Behörden irgendwelche Beweise oder Anhaltspunkte lieferte.«
Das würde auch erklären , warum sie mit keinem , der ihr nahestand , über den Diebstahl gesprochen hat . Lucasta erzählte mir , wie gern sie die Catchpoles hatte , und du sagtest , dass die Familie ihr all die Jahre über treu ergeben war , trotz der immer schwieriger werdenden Umstände . Und doch gab auch dieser Catchpole zu , dass er nie erfahren hat , was damals geschah , ebenso wenig wie seine Eltern . Warum hat sie sich ihnen nicht anvertraut? Die Catchpoles hätten sie nach Kräften unterstützt .
»Sie wären wahrscheinlich auch bei ihr geblieben, wenn sie gewusst hätten, dass der Diebstahl nichts weiter als die Ausgeburt einer kranken Fantasie war. Aber sie wären ihr dann möglicherweise anders begegnet – mit einem Unterton von Mitleid vielleicht. Jedenfalls hätten die Catchpoles ihre Empörung nicht mehr geteilt.«
Bestürzt fuhr ich mir mit den Fingern durchs Haar. »Hat Lucasta tatsächlich einen Diebstahl erfunden, weil sie ihre wirklichen Verluste nicht verwinden konnte – einschließlich des Verlustes, den der Abzug ihrer verwundeten Offiziere für sie bedeutete?«
Dieser Verdacht ist mir in all den Jahren immer wieder durch den Kopf gegangen . Das erste Mal , als ich Lucasta begegnete , war kurz nach dem schrecklichen Tod ihres Vaters . In Anbetracht der Umstände war sie , wie ich fand , fast ein wenig zu fröhlich . Jeder redete davon , wie tapfer sie sei , aber ich kam nicht umhin , mich zu wundern , ob sie nicht ein gehöriges Maß an Wut hinter ihrem Lächeln verbarg . Ich war mir nicht sicher , verstehst du . Die Menschen sind manchmal das , was sie vorgeben zu sein . Im Licht unserer späteren Begegnungen
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