Tante Julia und der Kunstschreiber
die liliputanische Statur des Gegners in Rechnung setzend, Ohrfeigen statt Faustschläge gewählt) auf den Künstler niedergehen ließ. Während ich dann mit dem jüngeren Fleischer Stöße und Schläge wechselte (»zur Verteidigung der Kunst«, dachte ich), konnte ich kaum noch etwas sehen. Der Streit dauerte nicht lange, aber als uns schließlich Leute von Radio Central aus den Händen der Kerle retteten, hatte ich ein paar Beulen, und das Gesicht des Schreibers war so geschwollen und zerschunden, daß Genaro sen. ihn zur Unfallstation bringen mußte. Statt sich bei mir dafür zu bedanken, daß ich meine Gesundheit zur Verteidigung seines Stars riskiert hatte, tadelte mich Genaro jun. an jenem Nachmittag wegen einer Meldung, die Pascual, das Durcheinander nutzend, in die aufeinan derfolgenden Nachrichten geschmuggelt hatte und die (mit leichter Übertreibung) so begann: »Banditen vom La Plata überfielen heute in krimineller Weise unseren Chefredak teur, den bedeutenden Journalisten…“
Als an diesem Abend Javier in meinen Verschlag von Radio Panamericana kam, lachte er sich kaputt über die Geschichte von der Schlägerei und begleitete mich auf dem Weg ins Krankenhaus, wo ich mich nach dem Befinden des Schreibers erkundigen wollte. Man hatte ihm eine Piratenbinde über das rechte Auge gelegt und zwei Pflaster aufgeklebt, eins am Hals und eins unter der Nase. Wie er sich fühle? Er machte eine verächtliche Geste, ohne der Angelegenheit größere Bedeutung beizumessen, und auch er bedankte sich nicht dafür, daß ich mich aus Solidarität mit ihm in den Kampf gestürzt hatte. Sein einziger Kommentar begeisterte Javier:
»Daß man uns trennte, hat sie gerettet. Noch einen Augenblick länger, und die Leute hätten mich erkannt, und wehe ihnen: man hätte sie gelyncht.«
Wir nahmen ihn mit ins Bransa, und dort erzählte er uns, daß ein Fußballspieler aus »jenem Land«, der sein Pro gramm gehört habe, einmal in Bolivien mit einem Revolver bewaffnet, den die Wächter zum Glück recht zeitig entdeckt hätten, zu ihm ins Studio gekommen sei.
»Sie werden auf sich aufpassen müssen«, warnte ihn Javier. »Lima ist im Augenblick von Argentiniern überlaufen.« »Also früher oder später werden die Würmer Sie und mich fressen«, philosophierte Pedro Camacho. Und er belehrte uns über die Seelenwanderung, die sein Glaubensbekenntnis zu sein schien. Er gestand uns, daß er, wenn man wählen könnte, in seinem künftigen Leben gern ein Meerestier sein würde, langlebig und ruhig wie die Schildkröten oder die Walfische. Ich nutzte seine gute Laune, um jene ehrenamtliche Vermittlerrolle zwischen den Genaros und ihm auszuüben, die ich seit einiger Zeit übernommen hatte, und richtete ihm aus, was Genaro sen. ihm zu sagen hatte, daß es Anrufe und Briefe zu den Hörspielepisoden gebe, die manche Leute nicht verstanden hätten. Der Alte bitte ihn, die Handlung nicht zu sehr zu komplizieren, das Niveau der Durchschnittshörer in Rechnung zu stellen, das eher niedrig sei. Ich versuchte, ihm die Pille zu versüßen, indem ich mich auf seine Seite stellte (in Wahrheit stand ich auch dort). Diese Bitte sei natürlich absurd, man müsse frei sein, zu schreiben, was man wolle, ich gäbe nur weiter, worum man mich gebeten habe.
Er hörte mir so stumm und ausdruckslos zu, daß ich mich unwohl zu fühlen begann. Und als ich schwieg, sagte auch er kein einziges Wort. Er trank den letzten Schluck seines Kamillen-Pfefferminztees, stand auf und murmelte, er müsse in seine Werkstatt zurück, und ging, ohne sich zu verabschieden. War er böse, weil ich in Gegenwart eines Freundes von den Anrufen gesprochen hatte? Javier meinte, ja, und riet mir, ihn um Entschuldigung zu bitten. Ich schwor mir, den Genaros nie wieder als Mittler zu dienen.
In dieser Woche, in der ich Tante Julia nicht sah, ging ich wieder ein paarmal mit Freunden aus Miraflores aus, die ich seit meiner heimlichen Romanze nicht mehr getroffen hatte. Es waren Schulfreunde oder Nachbarn, Freunde, die Maschinenbau studierten, wie Negro Salas, oder Medizin, wie Colorao Molfino, oder die schon arbeiteten, wie Coco Lanas, und mit denen ich seit meiner Kindheit wunderbare Erlebnisse teilte, wie Fußball und den Parque Salazar, Schwimmen im Terrazas und in den Wellen von Miraflores, die Feten am Sonnabend, die Mädchen und das Kino. Aber bei diesen Treffen, nachdem ich sie monatelang nicht gesehen hatte, wurde mir klar, daß unserer Freundschaft irgend etwas verloren
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