Tante Julia und der Kunstschreiber
gegangen war. Wir hatten nicht mehr so viel gemein wie früher. In den Nächten dieser Woche vollbrachten wir die gleichen Heldentaten wie sonst; wir gingen auf den kleinen und uralten Friedhof von Surco, um im Mondlicht zwischen den von Erdbeben aufgewühlten Gräbern umherzustreifen und zu versuchen, einen Schädel zu stehlen; wir badeten nackt in dem riesigen Schwimmbad von Santa Rosa, das neben Ancôn lag und noch im Bau war; wir zogen durch die finsteren Bordelle der Avenida Grau. Sie waren immer noch die alten. Sie rissen dieselben Witze, sprachen von denselben Mädchen, aber ich konnte mit ihnen nicht über die Dinge sprechen, die mir wichtig waren: über Literatur und Tante Julia. Hätte ich ihnen erzählt, daß ich Erzählungen schrieb und davon träumte, Schriftsteller zu werden, hätten sie zweifellos wie die kleine Nancy gemeint, bei mir sei wohl eine Schraube locker. Und hätte ich ihnen erzählt – so wie sie mir ihre Eroberungen berichteten –, daß ich mit einer geschiedenen Frau ging, daß sie nicht meine Geliebte, sondern meine Liebste war (im ganz und gar miraflorinischen Sinne), hätten sie mich, einem sehr hübschen und esoterischen Modewort entsprechend, für einen Gehirnamputierten gehalten. Ich verachtete sie keineswegs, weil sie keine Literatur lasen, auch fühlte ich mich ihnen durchaus nicht überlegen, weil ich eine erwachsene Frau liebte, aber es war doch so, daß ich mich langweilte, während wir zwischen Eukalyptus und Mollebäumen auf dem Friedhof von Surco in den Gräbern wühlten oder unter den Sternen von Santa Rosa plantschten oder Bier tranken und über die Preise der Nutten von Nanette diskutierten. Und ich dachte mehr an die »Gefährlichen Spiele« (die diese Woche wieder nicht in »El Comercio« erschienen waren) und an Tante Julia als an das, was man mir erzählte.
Als ich Javier von dem enttäuschenden Wiedersehen mit meinen Kumpanen von früher erzählte, antwortete er mir hochmütig:
»Das kommt, weil sie noch kleine Jungen sind. Du und ich, wir sind schon Männer, Varguitas.«
XII
Im staubigen Zentrum der Stadt, etwa auf halber Höhe des Jirón de Ica, steht ein altes Haus mit Baikonen und Fenstergittern, dessen von der Zeit und von unerzogenen Passanten befleckte Wände (sentimentale Hände, die Herzen und Pfeile malen und Mädchennamen einritzen, verlotterte Hände, die Geschlechtsteile und Schimpfwörter zeichnen) noch immer wie von weither eine Vorstellung von ihrem ursprünglichen Anstrich geben, von jener Farbe, dem Indigoblau, die während der Kolonialzeit die aristokratischen Villen schmückte. Das Gebäude, früher vielleicht Wohnsitz von Grafen, ist heute ein zusammengeflicktes Gemäuer, das wunderbarerweise nicht nur den leichten Erdbeben, sondern den milden Winden Limas, sogar dem allerfeinsten Nieselregen standhält. Von oben bis unten von Motten zerfressen, voller Ratten- und Mäusenester, war es immer und immer wieder unterteilt worden – Innenhöfe und Zimmer, die die Not in Bienenstöcke verwandelt –, um mehr und mehr Menschen zu beherbergen. Ein Heer von armen Leuten lebte zwischen diesen dünnen Zwischenwänden und altersschwachen Dächern (und könnte von ihnen erdrückt darin umkommen). Dort, in der zweiten Etage, mit einem halben Dutzend Zimmer voller Greisentum und Gerumpel, befindet sich, vielleicht nicht besonders sauber, aber moralisch makellos die Pension Colonial. Sie wird von den Bergua geleitet, einer dreiköpfigen Familie, die vor über dreißig Jahren aus Ayacucho, der gepflasterten Stadt in der Sierra mit den unzähligen Kirchen, nach Lima gekommen ist und hier – oh, ihr Schatten des Lebens – physisch, wirtschaftlich, sozial und sogar psychisch heruntergekommen ist und die zweifellos in dieser Stadt der Könige ihre Seele aufgeben und zu Fisch, Vogel oder Insekt werden wird.
Heute herrscht in der Pension Colonial trübseliger Verfall: die Gäste sind bescheiden und zahlungsunfähig, bestenfalls arme Priester aus der Provinz, die in die Hauptstadt kommen, um Gesuche beim Erzbischof einzureichen, und schlimmstenfalls grobschlächtige Bauern mit blauroten Wangen und Vicuna-Augen, die ihre Münzen in roten Taschentüchern verwahren und den Rosenkranz auf Quechua beten. Es gibt keine Zimmermädchen in dieser Pension, das versteht sich von selbst, und die ganze Arbeit des Bettenmachens, Auskehrens, Einkaufens und Kochens lastet auf Frau Margarita Bergua und ihrer Tochter, einer Jungfrau von vierzig Jahren, die auf den
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