Tante Julia und der Kunstschreiber
duftigen Namen Rosa hört. Frau Margarita Bergua ist (wie ihr Name im Diminutiv anzudeuten scheint) eine sehr mickrige, hagere Frau, verschrumpelter als eine Rosine, und seltsamerweise riecht sie nach Katze (obgleich es gar keine Katzen in der Pension gibt). Sie arbeitet unermüdlich vom frühen Morgen bis in die Nacht, und ihre Beweglichkeit im Haus und im Leben ist erstaunlich, denn sie trägt, da eins ihrer Beine zwanzig Zentimeter kürzer ist als das andere, eine Art Stelzenschuh mit einer hölzernen Plattform wie ein Schuhputzkasten, den ihr vor vielen Jahren ein tüchtiger Zimmermann aus Ayacucho gebaut hat und der, wenn er über den Holzfußboden geschleift wird, Erschütterungen hervorruft. Immer schon war sie sparsam gewesen, doch mit den Jahren ist diese Tugend zur Manie entartet, und heute trifft zweifellos das herbe Adjektiv geizig auf sie zu. Zum Beispiel gestattet sie den Pensionsgästen nur, sich am ersten Freitag eines jeden Monats zu waschen, und sie hat die argentinische Sitte eingeführt, die in den Wohnungen unseres Bruderlandes so beliebt ist, nur einmal am Tag die Kette der Toiletten spülung zu ziehen (und das tut sie selbst, vor dem Schlafen gehen); daher rührt hundertprozentig der dicke und lauwarme Gestank, der beständig in der Pension Colonial herrscht, von dem den Gästen, vor allem zu Anfang, übel wird. (Sie behauptet, mit der Spitzfindigkeit einer Frau, die auf alles eine Antwort findet, davon schliefen sie besser.)
Fräulein Rosa hat (oder besser hatte, denn nach der großen nächtlichen Tragödie war auch das anders geworden) Hände und Gemüt einer Künstlerin. Als Mädchen, in Ayacucho, als die Familie auf dem Höhepunkt ihres Wohlstandes war (drei Ziegelhäuser und etwas Land mit Schafen), lernte sie Klavierspielen und war so begabt, daß sie sogar eine Vorstellung im Theater der Stadt gab, bei der sowohl der Bürgermeister wie der Präfekt zugegen waren und bei der ihre Eltern vor Rührung weinten, als sie den Beifall hörten. Von diesem ruhmreichen musikalischen Vortrag angeregt, bei dem auch einige Nustas
tanzten, beschlossen die Bergua, alles zu verkaufen und nach Lima zu ziehen, damit ihre Tochter Konzertpianistin würde. Darum erstanden sie das Gebäude (das sie später nach und nach verkauften und vermieteten), darum kauften sie ein Klavier, darum schrieben sie die begabte Tochter im Staatlichen Konservatorium ein. Aber die große, unzüchtige Stadt zerstörte rasch die provinziellen Hoffnungen. Denn sehr bald entdeckten die Bergua etwas, was sie für unmöglich gehalten hätten, nämlich, daß Lima die Hölle mit einer Million Sündern war und daß alle, ohne eine einzige elende Ausnahme, die begabte Ayacuchanerin schänden wollten. Jedenfalls erzählte dies das braun bezopfte Mädchen mit Augen, die vor Schrecken rund und feucht wurden, morgens, mittags und abends. Der Musik lehrer hatte sich schnaubend auf sie gestürzt, um mit ihr auf einem Stapel Noten zu sündigen; der Portier des Konservatoriums hatte sie in obszöner Weise gefragt: »Willst du mein Hürchen werden?« Zwei Klassen kameraden hatten sie eingeladen, mit ihnen auf die Toilette zu gehen, damit sie ihnen beim Pinkeln zusehe; der Polizist an der Ecke, den sie nach einer Straße gefragt hatte, verwechselte sie wohl mit jemand anderem und wollte sie melken, und im Autobus hatte sie der Schaffner, als er ihr die Fahrkarte verkaufte, in die Brust gekniffen … Ent schlos sen, dieses unversehrte Hymen zu verteidigen, das die junge Pianistin – Binnenländermoral von marmorfesten Prinzipien – nur ihrem zukünftigen Herrn und Gatten opfern durfte, strichen die Bergua das Konservatorium und verpflichteten ein Fräulein, das im Haus Stunden gab, kleideten Rosa wie eine Nonne und verboten ihr, ohne die Begleitung beider Eltern auf die Straße zu gehen. Seitdem waren fünfundzwanzig Jahre vergangen, und das Hymen war tatsächlich noch unversehrt an seinem Platz, aber jetzt hatte das keine große Bedeutung mehr, denn außer dieser Attraktion – von der heutigen Jugend außerdem ziemlich mißachtet – ermangelt es der Expianistin (seit der Tragödie gab es keine Unterrichtsstunden mehr, das Klavier wurde verkauft, damit das Krankenhaus und die Ärzte bezahlt werden konnten) an anderen Reizen, die sie anzubieten hätte. Erstarrt, gebeugt, geschrumpft und in eine dieser antiaphrodisierenden Tunikas versunken, die sie zu tragen pflegt, und in eine dieser Kapuzen, die ihr Haar und ihre Stirn verbergen, sieht sie
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