Tante Julia und der Kunstschreiber
eher aus wie ein wandelnder Sack denn wie eine Frau. Sie bleibt dabei, daß die Männer sie anfassen, sie mit anrüchigen Angeboten einschüchtern und vergewaltigen wollen, aber jetzt fragen sich selbst ihre Eltern, ob diese Geschichten jemals wahr gewesen sind. Aber die wirklich rührende und bewegende Figur in der Pension Colonial ist Don Sebastian Bergua, ein alter Herr mit breiter Stirn, Adlernase, durchdrin gendem Blick, von Güte und aufrechter Gesinnung. Ein sehr altmodischer Mann, wenn man so will. Von seinen fernen Vorfahren, jenen spanischen Eroberern, den Brüdern Bergua aus den Höhen von Cuenca, die mit Pizarro nach Peru gekommen waren, hat er nicht so sehr jene Neigung zu Exzessen beibehalten, die sie Hunderte von Inkas gemein erwürgen (jeden einzeln) und eine vergleichbare Anzahl Priesterinnen aus Cuzco schwängern ließ, sondern vielmehr die makellos katholische Geisteshaltung und die kühne Überzeugung, daß die Herren aus altem Geschlecht von Raub und Renten leben durften, nicht jedoch vom Schweiß ihrer Arbeit. Von Kindheit an war er täglich zur Messe gegangen, hatte jeden Freitag das Abendmahl genommen zu Ehren des Herrn von Limpias, den er leidenschaftlich verehrte, und hatte sich wenigstens dreimal im Monat gezüchtigt oder das Büßerhemd getragen. Sein Widerwillen gegenüber aller Arbeit, gemeine Beschäftigung der Leute aus Buenos Aires, war schon immer so weit gegangen, daß er sich sogar geweigert hatte, die Mieten zu kassieren, von denen er lebte, und als er bereits in Lima wohnte, war er kein einziges Mal zur Bank gegangen, um die Zinsen der Wertpapiere abzuheben, in die er sein Geld investiert hatte. Diese Pflichten, praktische Dinge, die ein Frauenzimmer durchaus erledigen konnte, oblagen stets der fleißigen Margarita, und als das Mädchen erwachsen wurde, ihr und der Expianistin.
Bis zu der Tragödie, die auf grausame Weise den Niedergang der Bergua beschleunigte – Fluch, der auf einer Familie lastet, von der nicht einmal der Name überdauern wird –, entsprach das Leben von Don Sebastian in der Hauptstadt dem eines gewissenhaften christlichen Edelmannes. Er pflegte spät aufzustehen, nicht aus Faulheit, sondern um nicht mit den Pensionsgästen frühstücken zu müssen – er verachtete die bescheidenen Menschen nicht, glaubte jedoch an die Notwendigkeit des Klassen- und vor allem des Rassenunterschiedes –, nahm ein frugales Mahl ein und hörte dann die Messe. Von neugierigem und der Geschichte aufgeschlossenem Geist, ging er immer in eine andere Kirche – San Augustin, San Pedro, San Francisco, Santo Domingo –, um sein Feingefühl in der Betrachtung der Meisterwerke kolonialen Glaubens zu ergötzen, während er seine Pflicht gegenüber Gott erfüllte. Diese steinernen Reminiszenzen der Vergangenheit versetzten ihn außerdem in die Jahre der Conquista und der Kolonialzeit – wieviel farbiger waren sie doch als die graue Gegenwart –, in denen er am liebsten gelebt hätte und ein gefürchteter Hauptmann oder frommer Zerstörer allen Götzendienstes gewesen wäre. Eingehüllt in Träume der Vergangenheit, kehrte Don Sebastian, aufrecht und sorgsam gehend in seinem sauberen grauen Anzug, seinem Hemd mit aufgesetztem Kragen und Manschetten, die von Stärke strotzten, und in seinen Schuhen mit Lackeinsätzen aus der Zeit vor der Jahrhundertwende, durch die geschäftigen Straßen des Zentrums in die Pension Colonial zurück, wo er sich bequem in einem Schaukelstuhl vor dem geschnitzten Balkon niederließ, der so gut zu seinem, den Zeiten der Perricholi nachtrauernden Geist paßte, und den Rest des Vormittags damit verbrachte, murmelnd die Zeitung zu lesen, sogar die Anzeigen, um zu erfahren, was in der Welt vorging. Seiner Herkunft getreu, erfüllte er nach dem Mittagessen – das er leider mit den Pensionsgästen einnehmen mußte, die er jedoch sehr höflich behandelte – den sehr spanischen Ritus der Siesta. Danach hüllte er sich wieder in seinen dunklen Anzug, sein gestärktes Hemd, setzte seinen grauen Hut auf und ging schlendernd in den Club Tambo-Ayacucho, eine Institution, die am Jirón Cailloma viele Bekannte aus seiner schönen Anden-Heimat zusammenführte. Er spielte Domino, Casino, Rocambor, plauderte über Politik und manchmal – er war auch nur ein Mensch – über Themen, die nicht für junge Damen geeignet waren, und sah zu, wie es Abend wurde und die Nacht anbrach. Dann kehrte er ohne Eile in die Pension Colonial zurück, aß seine Suppe und seinen Eintopf
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