Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
er in feuriger Weise, Hauptmann Soto und den Polizisten zu erklären, daß Christus nicht Gott gewesen sei, sondern ein Zeuge, daß es falsch sei, wie es die Papisten logen, daß man ihn gekreuzigt habe; die Bibel beweise, daß er an einen Baum genagelt worden sei. Bei dieser Gelegenheit riet er ihnen, »Erwachet« zu lesen, eine Zeitung, die alle zwei Wochen erscheine und die sie für zwei Soi von allen Zweifeln über dieses und andere Themen der Kultur befreien und außerdem eine gesunde Unterhaltung bieten könne. Hauptmann Soto hieß ihn schweigen und sagte ihm, daß in den Räumen des Polizeireviers jede kommerzielle Werbung verboten sei. Er forderte ihn schließlich auf zu sagen, wo er am Vorabend gewesen sei, was er zu der Zeit gemacht habe, zu der Sarita Huanca Salaverria versicherte, von ihm vergewaltigt und geschlagen worden zu sein. Gumercindo Tello bestätigte, daß er an dem Abend wie jeden Abend in seinem Zimmer gewesen sei, allein, in Meditation über den »Stamm« vertieft und darüber, daß es im Gegensatz zu dem, was bestimmte Leute einen glauben ließen, nicht stimme, daß alle Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts auferstehen, daß nämlich viele niemals auferstehen würden, was die Sterblichkeit der Seele beweise. Wieder zur Ordnung gerufen, bat der Angeklagte um Entschuldigung und sagte, er tue das nicht mit Absicht, aber könne es nun einmal nicht unterlassen, jeden Augenblick ein kleines bißchen Licht auf die anderen zu werfen, da er darüber verzweifle, in welcher Dunkelheit die Menschen lebten. Und zu den Fakten, er könne sich nicht erinnern, Sarita Huanca Salaverria an jenem Abend gesehen zu haben. Auch nicht am Abend davor, und er bat, man möge in dem Bericht doch schreiben, daß er, obgleich er so verleumdet werde, keinerlei Groll gegen jenes Mädchen hege und daß er ihr, im Gegenteil, noch dankbar sei, weil er glaube, daß Gott durch sie die Muskulatur seines Glaubens prüfen wolle. Da er aus Gumercindo Tello keine weiteren präzisen Angaben über die Anklagepunkte herausbekommen konnte, beendete Hauptmann G. C. Enrique Soto das Verhör und überführte den Angeklagten in eine Zelle des Justizpalastes, damit der Untersuchungsrichter den Fall entsprechend weiterführen könne.
    Dr. jur. Barreda y Zaldîvar schloß die Akte und dachte an diesem, von den Geräuschen aus dem Gerichtsgebäude gequälten Vormittag über die Sache nach. Die Zeugen Jehovas? Er kannte sie. Vor gar nicht langer Zeit war ein Mann, der auf dem Fahrrad durch die Welt zog, an seine Tür gekommen und hatte ihm die Zeitschrift »Erwachet« angeboten, die er in einem Moment der Schwäche erwarb. Seitdem war der Zeuge mit astraler Unausbleiblichkeit zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten um sein Haus gestrichen. Er wollte ihn unbedingt erleuchten, belagerte ihn mit Flugblättern, Büchern und Zeitschriften von verschiedener Dicke und Thematik, bis er, unfähig, den Zeugen auf zivilisierte Weise, durch Überredung, durch Bitten oder Drohungen von seiner Wohnung fernzuhalten, die Polizei um Hilfe ersucht hatte. Also einer dieser stürmischen Bekehrer war der Schänder. Dr. jur. Barreda y Zaldivar sagte sich, der Fall werde interessant.
    Es war noch Vormittag, und der Untersuchungsrichter streichelte versonnen den langen stählernen Brieföffner mit dem Griff aus Tiahuanaco, der auf seinem Schreibtisch lag, ein Geschenk seiner Vorgesetzten, seiner Kollegen und Untergebenen (sie hatten ihn dem Anwalt zu seiner Silberhochzeit geschenkt), rief den Sekretär und bat ihn, die Zeugen eintreten zu lassen.
    Zuerst kamen die Polizisten Cusicanqui Apéstegui und Tito Parinacocha, die die Umstände der Festnahme von Gumercindo Tello respektvoll bestätigten und angaben, dieser habe sich, außer daß er die Anschuldigungen abstritt, umgänglich gezeigt, wenn auch ein bißchen geschwollen mit seinem religiösen Tick. Dr. Zelaya schrieb das Protokoll, während die Beamten sprachen, und die Brille schaukelte dabei auf seiner Nase. Dann waren die Eltern des Mädchens an der Reihe, ein Paar, dessen fortgeschrittenes Alter den Richter überraschte. Wie konnten diese Tattergreise ein dreizehnjähriges Kind haben? Der Vater, Don Isaïas Huanca, ohne Zähne, die Triefaugen halb verschmiert, bestätigte sehr schnell den Polizeibericht in allen seinen Punkten und wollte danach dringlich wissen, ob nun Sarita mit Herrn Tello verheiratet würde. Kaum hatte er das gefragt, trat Frau Salaverria de Huanca, eine kleine verschrumpelte Frau,

Weitere Kostenlose Bücher