Tante Julia und der Kunstschreiber
vor, küßte dem Richter die Hand und bat gleichzeitig mit bettelnder Stimme, er möge doch so gut sein und Herrn Tello zwingen, Sarita vor den Altar zu führen. Dr. jur. Barreda y Zaldivar hatte große Mühe, den Greisen zu erklären, daß zu den hohen Funktionen, mit denen man ihn betraut habe, die des Heiratsvermittlers nicht gehöre. Das Paar schien offensichtlich mehr daran interessiert zu sein, das Mädchen zu verheiraten, als das Verbrechen zu ahnden, auf das sie nur zu sprechen kamen, wenn sie dazu gezwungen wurden, und sie verwandten viel Zeit darauf, die Tugenden von Sarita aufzuzählen, als wollten sie sie verkaufen.
Innerlich lächelnd dachte der Richter, diese bescheidenen Landleute – es bestand kein Zweifel, daß sie aus den Andengebieten kamen und in Kontakt mit der Erde gelebt hatten – brächten es fertig, ihm das Gefühl zu geben, er sei ein mißgelaunter Vater, der sich weigere, der Hochzeit seines Sohnes zuzustimmen. Er versuchte, sie zur Vernunft zu bringen. Wie konnten sie ihrer Tochter jemanden als Mann wünschen, der fähig war, das Verbrechen der Notzucht an einem unmündigen Mädchen zu begehen? Aber sie nahmen sich gegenseitig das Wort aus dem Mund und bestanden darauf, Sarita sei eine vorbildliche Ehefrau, trotz ihrer jungen Jahre könne sie kochen, nähen und alles; sie beide seien schon alt und wollten das Kind nicht als Waise zurücklassen. Der Herr Tello scheine ein ernsthafter, arbeitsamer Mann zu sein und außer, daß er neulich mit Sarita ausgerutscht sei, habe man ihn niemals betrunken gesehen. Er sei sehr respektvoll, gehe früh zur Arbeit mit seinem Werkzeugkoffer und dem Paket mit jenen Zeitschriften, die er von Haus zu Haus verkaufe. Ein Bursche, der sich auf diese Weise durchschlage, sei der vielleicht keine gute Partie für Sarita? Und beide Greise hoben dem hohen Beamten die Hände entgegen: »Haben Sie Mitleid mit uns, helfen Sie uns, Herr Richter.« Dr. jur. Barreda y Zaldfvar kam ein Gedanke – kleine, schwarze, regenschwangere Wolke –, war das alles hier eine von diesem Paar ausgeheckte List, um ihre Tochter zu verheiraten? Aber der medizinische Befund war eindeutig: das Mädchen war vergewaltigt worden. Nicht ohne Schwierigkeiten verabschiedete er die Zeugen. Dann erschien das Opfer. Sarita Huanca Salaverrîas Eintreten erhellte das nüchterne Büro des Untersuchungsrichters. Ein Mann, der alles gesehen hatte, vor dem alle Absonderlichkeiten der menschlichen Psychologie als Opfer oder als Täter vorbeigezogen waren, dieser Mann, Dr. jur. Bareda y Zaldfvar, staunte, denn hier stand noch eine Spezies von wirklicher Originalität vor ihm. War Sarita Huanca Salaverria ein Mädchen? Zweifellos, wenn man ihrem chronologischen Alter nach urteilte, nach dem kleinen Körper, auf dem sich schüchtern die Schwellungen der Weiblichkeit abzuzeichnen begannen, nach den Zöpfen, die das Haar zusammenhielten, und dem Rock und der Schülerbluse, die sie trug. Aber der Art und Weise nach, wie sie sich katzenhaft bewegte, sich breitbeinig hinstellte, die Hüfte zur Seite geneigt, die Schulter nach hinten und die kleinen Hände mit einer einladenden Offenherzigkeit in die Taille gestemmt, und vor allem der Art nach, wie sie ihn ansah mit diesen weltlichen, samtweichen Augen und sich mit ein paar Mäusezähnchen in die Unterlippe biß, schien Sarita Huanca Salaverria über ausführliche Erfahrungen, über jahrhundertealte Kenntnisse zu verfügen. Dr. jur. Barreda y Zaldîvar hatte ein ausgesprochenes Zartgefühl, wenn er Minderjährige verhören mußte. Er verstand es, ihnen Vertrauen einzuflößen, die Dinge herauszufragen, ohne ihre Gefühle zu verletzen, und es fiel ihm leicht, sie sanft und mit Geduld dahin zu bringen, über die heiklen Angelegenheiten zu sprechen. Aber dieses Mal nützte ihm seine Erfahrung nichts. Kaum hatte er das Mädchen euphemistisch gefragt, ob es richtig sei, daß Gumercindo Tello sie schon seit langem mit ungezogenen Fragen belästigt habe, begann Sarita Huanca drauflos zu erzählen. Ja, seitdem er in Victoria lebe, immer und überall. Er warte an der Bushaltestelle und begleite sie bis nach Hause und sage: »Ich würde dir gern den Honig lecken«, »Du hast zwei kleine Apfelsinen und ich eine Banane« und: »Deinetwegen mache ich mich vor Liebe naß«. Aber es waren nicht diese im Munde eines Mädchens unpassenden Gleichnisse, die die Wangen des Richters heiß werden und Dr. Zelaya beim Schreiben steckenbleiben ließen, sondern die Gesten, mit denen
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