Tante Lisbeth (German Edition)
Valeries Sterbelager entfernt stehen, an dem eine barmherzige Schwester und ein katholischer Priester saßen. Der üble Geruch war so stark, daß trotz der weitgeöffneten Fenster und der angewandten Räuchermittel niemand imstande war, lange in dem Zimmer zu bleiben – mit Ausnahme des Gottesmannes. Gestank vertreibt keinen Pfaffen.
»Liebe Freundin«, begann Tante Lisbeth, »wenn ich nicht selber krank gewesen wäre, hätte ich dich gepflegt. Seit beinahe drei Wochen muß ich das Zimmer hüten. Heute erst habe ich deinen Zustand erfahren, und sofort bin ich hergeeilt!«
»Arme Lisbeth«, flüsterte Valerie, »ich sehe, du hast mich immer noch lieb. Mit mir geht es zu Ende! Weißt du, ich habe einmal im Scherze zu Crevel gesagt, Gottes Rache käme in der Gestalt jeglichen Unglücks! Ich war eine Prophetin. Ich sage dir, Lisbeth, verharre nicht im Haß!«
»Ich!« entgegnete die Lothringerin trotzig. »Überall in der Natur lebt die Rache. Selbst die da« – sie deutete auf den Priester – »predigen, daß Gott sich räche bis in alle Ewigkeit!«
»Lassen Sie ihr die Gnade der Reue!« mahnte der Geistliche.
»Wie bist du so krank geworden?« forschte die alte Jungfer, die in ihrem bäurischen Heidentum den Geistlichen nicht beachtete.
»Ach, ich habe einen Brief von Heinrich bekommen, der mir keinen Zweifel läßt. Er hat mich gemordet! So muß ich denn sterben, in dem Augenblick, wo ich ein ehrliches Leben beginnen wollte! Geh, meine Liebe! Laß mich allein! Ich will in Gott sterben!«
»Sie redet irre!« murmelte Lisbeth, indem sie sich wegwandte. Die häßlichen Ausdünstungen benahmen ihr den Atem. An der Tür hörte sie, wie im andern Zimmer einer der Ärzte gerade sagte: »Das wird eine prächtige Sezierung: zwei Körper zum Vergleich!«
Bianchon trat an Valerie heran.
»Gnädige Frau«, sagte er, »wir könnten ein Radikalmittel versuchen. Vielleicht werden Sie gerettet...«
»Werde ich aber auch wieder hübsch wie ehedem, wenn Sie mich retten?« fragte die Kranke.
»Vielleicht!« entgegnete der Arzt.
»Ihr »Vielleicht« kenne ich! Höchstwahrscheinlich würde ich dann aussehen wie eine, die ins kochende Wasser gefallen ist! Nein, lieber sterbe ich! Ich kann mein Heil nur noch bei Gott finden. Ihm will ich gefallen. Mit ihm will ich mich gut stellen. Das soll meine letzte Koketterie sein. Ich muß zu guter Letzt auch einmal den lieben Gott herumkriegen!«
»An diesem guten Witz erkenne ich meine liebe alte Valerie wieder!« sagte Lisbeth und fing an zu weinen.
Sie hielt es für ihre Pflicht, auch in Crevels Zimmer zu treten. Sie fand daselbst Viktor und Cölestine in einiger Entfernung an seinem Bette sitzen.
»Lisbeth«, sagte Crevel sofort, als er sie bemerkte, »man verheimlicht mir den Zustand meiner Frau. Du warst gewiß gerade bei ihr. Wie geht es ihr?«
»Es geht ihr besser. Sie hat ihr Heil gefunden!« erwiderte Lisbeth. Das Wortspiel sollte Crevel beruhigen.
»Ich möchte sie nicht verlieren!« seufzte der Kranke. »Was sollte aus mir werden, wenn sie mir stürbe! Kinder, ihr wißt gar nicht, wie sehr ich diese Frau liebe!« Er ruckte sich zusammen, als wollte er seine Attitüde annehmen.
»Väterchen«, schmeichelte Cölestine, »wenn ihr beide wieder gesund seid, machen wir dir und meiner Stiefmutter einen offiziellen Besuch. Das verspreche ich dir!«
»Liebstes Cölestinchen«, sagte er gerührt, »komm, gib mir einen Kuß!«
Viktor hielt seine Frau gerade noch im letzten Augenblick zurück.
»Es könnte anstecken!« bemerkte er schonungsvoll.
»Mein Gott, das ist ja wahr!« brummte Crevel. »Die Ärzte haben ja an mir eine vorsintflutliche Krankheit ausbaldowert... Drollige Käuze, die Mediziner!«
»Väterchen, nur Mut!« tröstete Cölestine. »Sie werden dich schon wieder gesund machen!«
»Freilich, freilich, Kindchen«, stimmte ihr Crevel kaltblütig zu, »der alte Knochenmann ist nicht so schnell zur Stelle. Er überlegt sich die Sache zweimal, ehe er einen Pariser Bürgermeister am Schlafittchen nimmt.«
»Hast du denn schon mit dem Priester um deine Genesung gebetet?«
»Gott bewahre!« wehrte er ab. »Was soll der Unsinn? Ich bin ein Freigeist! Ich bin ein Kind der Großen Revolution. Die Ideen des Barons Holbach sind mein Evangelium! Die machen einem die Seele stärker als alles Pfaffengeschwätz! Was soll mir das? Montesquieu, Richelieu, Voltaire, Rousseau, Beranger! Zum Teufel, das waren meine Leute im Leben! Und ich bleibe ihnen treu bis in den
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