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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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hatte Valerie ihren Zweck erreicht; sie wollte den Künstler eine Zeitlang von sich fernhalten und ihre Freiheit wiederhaben. Sie wartete auf eine Reise ihres Mannes nach dem Landgut des Grafen Popinot. Er sollte dort die Einführung seiner Frau in die Gesellschaft vorbereiten. Während seiner Abwesenheit wollte Valerie dem Marquis ein Stelldichein gewähren. Sie wollte den Brasilianer einen vollen Tag für sich haben und ihm das Geständnis machen, das »seine Liebe verdoppeln« sollte.
    Am Morgen dieses ersehnten Tages warnte Regina ihre Herrin.
    »Die gnädige Frau sind jetzt so glücklich«, sagte sie. »Wozu Aufregungen des Brasilianers wegen? Ich traue ihm nicht.«
    »Du hast recht. Ich will ihm den Laufpaß geben.«
    »Ach, wie mich das freut, gnädige Frau! Ich habe vor dem Schwarzkopf eine Todesangst. Ich halte ihn zu allem fähig.«
    »Dummheit! Er ist in Gefahr, nicht ich!«
    In dem Augenblick kam Tante Lisbeth.
    »Meine liebe Wildkatze, wir haben uns so furchtbar lange nicht gesehen!« begrüßte Valerie die Freundin. »Weißt du, ich bin recht unglücklich. Crevel ödet mich an. Mit Stanislaus habe ich mich verkracht. Er kommt nicht mehr.«
    »Ich weiß es«, unterbrach Lisbeth sie. »Seinetwegen komme ich ja. Viktor ist ihm gestern nachmittag auf der Straße begegnet, gerade als er in ein Groschen-Restaurant eintreten wollte. Er hat ihn bei seinen Gefühlen in Magen und Herz gefaßt und ihn mit in die Rue Louis-le-Grand geschleppt. Beim Anblick des ausgehungerten und verlumpt angezogenen Stanislaus hat Hortense nicht umhin gekonnt, ihm die Hand zur Versöhnung zu reichen... Das habe ich dir zu verdanken! Das ist Verrat an mir!«
    »Herr Marquis Montes von Montejanos!« meldete der Diener;
    »Meine liebe Lisbeth, ich erkläre dir das alles morgen. Jetzt mußt du mich allein lassen!«
    Valerie sollte niemals zu dieser Erklärung kommen.
    Gegen Ende Mai war die Pension des Barons von Hulot durch die von Viktor nach und nach geleisteten Zahlungen an Nucingen wieder völlig frei geworden. Bekanntlich werden Pensionen nur gezahlt, wenn jedes halbe Jahr eine behördlich beglaubigte Bescheinigung beigebracht wird, daß der Pensionsempfänger noch am Leben ist. Da man Hulots Aufenthaltsort nicht kannte, war eine solche Bescheinigung nicht vorhanden, und so verweigerte das Kriegszahlamt die Auszahlung der Pension. Vauvinet hatte seinen Pfändungsantrag zurückgenommen, und so lag es nunmehr auch im materiellen Interesse der Familie, den Aufenthalt des Pensionsempfängers zu ermitteln.
    Die Baronin war dank der Sorgfalt des Doktors Bianchon wiederhergestellt. Zu ihrer Genesung hatte folgender Brief Josephas beigetragen.
    »Sehr verehrte Frau Baronin!
    Herr von Hulot hat vor zwei Monaten in der Rue des Bernardins bei einer gewissen Clodia Chardin, einer Spitzenstopferin, gewohnt. Das war die Nachfolgerin von Olympia Bijou. Aber er hat auch sie wieder verlassen, ohne ihr vorher ein Wort zu sagen, und kein Mensch weiß, wohin er gegangen ist. Einige Sachen hat er bei ihr zurückgelassen. Trotzdem habe ich den Mut nicht sinken lassen und einen Menschen in Dienst genommen, der nach ihm forscht. Dieser Mann behauptet bereits, ihn einmal auf dem Boulevard Bourdon wiedergesehen zu haben. Ich werde mein Ihnen gegebenes Wort halten.
    In größter Hochachtung bin ich immerdar
Ihre ganz gehorsamste Dienerin
Josepha Mira.«
     
    Maitre Hulot hatte seit der Hochzeit seines Schwiegervaters nichts von Frau Nourrisson gehört, und da sein Schwager inzwischen wieder in der Familie aufgenommen war, schwand seine Verstimmung über Crevels Wiederverheiratung mehr und mehr. Im glücklichen Gefühl, seine Mutter von Tag zu Tag kräftiger und gesunder zu sehen, überließ er sich gänzlich seiner juristischen und politischen Tätigkeit. In der raschen Strömung des Pariser Lebens wirken Stunden wie Tage.
    Eines Abends arbeitete er an einem Bericht für das Abgeordnetenhaus. Er hatte sich vorgenommen, die ganze Nacht zu arbeiten. Es war gegen neun Uhr. Er saß in seinem Arbeitszimmer und wartete, daß der Diener die Lampe hereinbrächte. Eben dachte er an seinen Vater. Er machte sich Vorwürfe, die Forschungen nach ihm in Josephas Händen gelassen zu haben, und nahm sich vor, andern Tags einmal persönlich etwas in der Angelegenheit zu tun. Da bemerkte er vor seinem Fenster im Halbdunkel das gelbe Gesicht eines weißköpfigen alten Mannes. Viktor öffnete das Fenster.
    »Geben Sie Befehl, Herr von Hulot, daß man mich zu Ihnen vorläßt!

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