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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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definitiv interessant, wenn auch nicht ganz mein Typ. Aber derweil sich die Gäste einer Geburtstagsparty in meinem Club versammelten, amüsierte ich mich großartig mit ihr. Und dann kam dieses Mädchen – sie war wirklich noch ein Mädchen – zur Tür herein, und die Stimmung änderte sich schlagartig, sie stieg spürbar. Alle kannten sie, und sie wurde offensichtlich von allen vergöttert. Das ist klischeehaft, ich weiß, aber ich konnte den Blick nicht von ihr losreißen, während sie sich durch den Raum bewegte. Sie begrüßte alle mit einer Umarmung und lachte viel. Sie trug einen engen schwarzen Pulli mit einem kurzen Rock und Stiefeln – und sie war ganz genau mein Typ. Ich fürchtete, sie hätte bemerkt, wie ich sie anstarrte, und als sie endlich auf uns zukam, wurde ich ziemlich nervös. Aber sie kam nicht meinetwegen. Sie wollte das Mädchen begrüßen, mit dem ich geflirtet hatte, und ich wäre beinahe vom Hocker gefallen, als sich herausstellte, dass die beiden Schwestern sind. Sie lächelte mich voller unverhohlener Sympathie an und stellte sich als Lucy Houston vor. Der Name passte perfekt zu ihr. Sie war kleiner als ihre Schwester und hatte wunderschönes kastanienbraunes Haar, das ich sofort berühren wollte. Während ihre Schwester Priscilla mich eher an ein Kunstwerk erinnerte – sorgfältig und wunderbar gepflegt zur Schau gestellt –, wirkte Lucy weniger bemüht, und ganz ehrlich, da brauchte auch nicht nachgeholfen zu werden: klare Haut, große, grüne Augen, Stupsnäschen, volle, küssenswerte Lippen. Dazu noch ihre Art, die einfach nett rüberkam, und die kleine Lucy Houston war für mich praktisch unwiderstehlich.
    Tja, es stellte sich heraus, dass wir an diesem Abend ihren einundzwanzigsten Geburtstag feierten, womit sie für mich mit meinen neunundzwanzig viel zu jung war. Aber irgendetwas geschah, als sie zu mir auf die Bühne kam. Ich wollte da oben nur meine übliche Nummer abziehen, ein paar Witze reißen, ein paar Lacher ernten, ganz wie immer. Ich rief sie auf die Bühne zu einem kleinen, scherzhaften Rededuell, und sie zögerte keinen Moment. Dann rückte die Welt irgendwie in den Hintergrund, und es gab nur noch sie. Ich weiß nicht, wie sie das gemacht hat, aber sie zog mich hinter der sorgfältig aufgebauten Maske hervor, die ich der Welt zeigte, und warf einen Blick auf mein wahres Ich. Und sie zuckte nicht zurück. Als ich sie nur so zum Spaß küsste und sie den Kuss erwiderte, erkannte ich sie auf irgendeine magische Art und Weise, glaube ich – es war, als hätte ich einen Teil von mir wiedergefunden, dessen Fehlen ich vorher nie bemerkt hatte. Ich weiß nicht, ob normale Menschen wirklich so etwas erleben, aber ich hätte nicht leugnen können, was da passierte. Für jemanden, der vom Leben so wenig gesegnet war wie ich, war das ein Schock, es machte mir richtig Angst. Solche Angst, dass ich nicht mehr klar denken konnte und eine Dummheit beging. Diese umwerfende junge Frau gab mir ihre Telefonnummer, und ich ließ sie einfach gehen.
     
    Ich lernte Mickey Chandler 1998 kennen, als ich an der Northeastern University in Boston studierte. Lily hatte mich zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag heim nach Brinley gelockt, wo sie eine Party organisiert und alle eingeladen hatte, die wir kannten. Der Anlass mochte mein Geburtstag sein, aber ich wusste, dass sie auch eine Aufmunterung brauchte. Meine Schwester und ihr Mann hatten ein Kind adoptiert, doch die Sache war furchtbar schiefgegangen, und sie hatten viel durchgemacht.
    Ich glaubte damals, die arme Lily würde sich nie davon erholen, weil sie so lange sehnsüchtig auf dieses Kind gewartet hatte. Sie hatte ihn James Harrison Bates getauft, nach unserem Dad und Rons Vater. Wir waren alle ganz vernarrt in diesen kräftigen, gesunden, kahlköpfigen, hinreißenden kleinen Jungen. Doch dann verloren wir ihn wieder, weil die fünfzehnjährige Mutter es sich anders überlegte. Dieses Mädchen stand auf einmal mit ihrer idiotischen Mutter und ihrem Anwalt vor Lilys Tür und verlangte einfach so ihren Sohn zurück. Juristisch nannte sich das »Widerruf der Adoption«, denn in New York, dem Wohnsitz der leiblichen Mutter, hatte sie fünfundvierzig Tage lang das Recht, ihre Einwilligung in die Adoption zu widerrufen. Sie stellte den Antrag am allerletzten Tag, und die Geschichte riss ein so großes Loch in Lilys Seele, dass ich fürchtete, sie würde niemals heilen.
    Meine Schwester schwor sich, keinen zweiten Versuch zu

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