Tanz der seligen Geister (German Edition)
Stimme dem Kleid angepasst hat, sie klingt jetzt umgänglicher und jugendlicher. »Außerdem sind das keine Mohnblumen, einfach nur Blumen. Du geh und pump mir gutes, kaltes Wasser hoch, dann mach ich den Kindern was zu trinken.«Sie holt aus dem Küchenschrank eine Flasche mit Walker Brothers-Orangensirup.
»Erzählt mir, er ist der Mann von Walker Brothers!«
»Das ist die Wahrheit, Nora. Geh und schau dir meine Musterkoffer im Auto an, wenn du mir nicht glaubst. Ich habe das Gebiet gleich südlich von hier.«
»Walker Brothers? Stimmt das? Du verkaufst für Walker Brothers?«
»Ja, Madam.«
»Wir hörten immer, du züchtest Füchse drüben in Dungannon.«
»Das habe ich auch gemacht, aber dann hat mich das Glück verlassen.«
»Wo wohnst du denn jetzt? Wie lange verkaufst du schon?«
»Wir sind nach Tuppertown gezogen. Ich mache das seit so zwei, drei Monaten. Hält den Wolf von der Tür fern. Scheucht ihn aber nur bis hintern Gartenzaun.«
Nora lacht. »Wahrscheinlich kannst du dich glücklich schätzen, die Arbeit zu haben. Isabels Mann in Brantford, der war lange arbeitslos. Ich dachte schon, wenn er nicht bald was findet, landen sie alle hier und ich muss sie durchfüttern, und ich kann dir sagen, ich habe mich nicht direkt drauf gefreut. Es reicht gerade so für Mama und mich.«
»Isabel ist also verheiratet«, sagt mein Vater. »Hat Muriel auch geheiratet?«
»Nein, sie arbeitet als Lehrerin draußen im Westen. Sie ist seit fünf Jahren nicht mehr zu Hause gewesen. Wahrscheinlich weiß sie mit ihren Ferien was Besseres anzufangen. Würde mir jedenfalls so gehen, wenn ich sie wäre.« Sie holt ein paar Fotos aus der Tischschublade und zeigt sie ihm. »Das ist Isabels ältester Junge bei der Einschulung. Hier ihr Baby im Kinderwagen. Isabel und ihr Mann. Muriel. Das neben ihr ist ihre Zimmergenossin. Das hier ist ein Bursche, mit dem sie mal gegangen ist, in seinem Auto. Er hat in einer Bank da draußen gearbeitet. Das ist ihre Schule, sie hat acht Klassenzimmer. Muriel unterrichtet die fünfte Klasse.« Mein Vater schüttelt den Kopf. »Ich kann sie mir gar nicht anders vorstellen, nur so wie damals, als sie zur Schule ging und ich sie auf der Straße mitgenommen habe, wenn ich zu dir unterwegs war, sie war so schüchtern, dass sie kein Wort herausgebracht hat, nicht mal ein Ja, wenn ich gesagt habe, schöner Tag heute.«
»Das hat sie überwunden.«
»Von wem redet ihr?«, fragt die alte Dame.
»Von Muriel. Sie hat ihre Schüchternheit überwunden.«
»Sie war letzten Sommer hier.«
»Nein, Mama, das war Isabel. Isabel ist mit ihrer Familie letzten Sommer hier gewesen. Muriel ist draußen im Westen.«
»Ich meine ja auch Isabel.«
Kurz darauf schläft die alte Dame ein, mit dem Kopf zur Seite und offenem Mund. »Entschuldigt ihre Manieren«, sagt Nora. »Das ist das Alter.« Sie legt ihrer Mutter eine Wolldecke um und sagt, wir können alle ins Wohnzimmer gehen, wo unsere Gespräche sie nicht stören.
»Ihr beide«, sagt mein Vater. »Wollt ihr nicht rausgehen und euch amüsieren?«
Womit amüsieren? Außerdem will ich bleiben. Das Wohnzimmer ist interessanter als die Küche, wenn auch kahler. Ich entdecke ein Grammophon und ein Harmonium und an der Wand ein Bild von Maria, der Mutter von Jesus – so viel weiß ich – in leuchtendem Blau und Rosa mit einem stacheligen Lichtband um den Kopf. Ich weiß, dass solche Bilder nur in den Häusern von Katholiken hängen, also muss Nora katholisch sein. Wir waren noch nie mit Katholiken näher bekannt, nie nah genug, um sie zu Hause zu besuchen. Mir fällt ein, was meine Großmutter und meine Tante Tena, drüben in Dungannon, immer sagten, um darauf hinzuweisen, dass jemand katholisch ist. Der Soundso kratzt mit dem falschen Fuß, sagten sie. Sie kratzt mit dem falschen Fuß. Das würden sie von Nora sagen.
Nora holt eine halbvolle Flasche aus dem oberen Teil des Harmoniums und gießt etwas daraus in die beiden Gläser, aus denen sie und mein Vater die Orangenlimo getrunken haben.
»Hast du die für den Fall, dass du krank wirst?«
»Nie im Leben«, sagt Nora. »Ich bin nie krank. Ich habe sie nur, weil ich sie habe. Eine Flasche reicht mir aber ziemlich lange, denn ich trinke nicht gern alleine. Prost!« Sie und mein Vater trinken, und ich weiß, was es ist. Whisky. Eins von den Dingen, die meine Mutter mir in unseren Zwiegesprächen erzählt hat, ist, dass mein Vater nie Whisky trinkt. Aber ich sehe, er tut es doch. Er trinkt Whisky und
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