Tanz der Verführung
Rücken.
Als sie in den im Halbdunkel liegenden Raum trat, der nur von dem orangegelben Flackern eines Kaminfeuers erhellt wurde, stockte ihr der Atem. Sie sah sich um und suchte sich zu beherrschen, denn jeden Augenblick hätte Henry zur Tür stürmen und Winton Alarm schlagen können. Schon hörte sie die Breitschwerter der Wachen klirren, deren Halt-Rufe ertönen, und machte sich bereit, Henry beizustehen und irgendwie das Schreiben von Linfords Männern fernzuhalten.
Ihr Blick fiel auf ein paar seltsam verzierte, goldene Kerzenleuchter, die in ihrer Nähe auf einem Wandbord standen. Vorsichtig schob sie sich darauf zu. Ein Kerzenständer war zwar nur ein erbärmlicher Ersatz für eine Waffe, doch er musste genügen.
Winton huschte mit einem brennenden Span durch das Zimmer und begann, die Fackeln an der Wand anzuzünden. Nun verschwanden die Schatten, und der Raum erstrahlte in einem warmen Glanz. Jeder einzelne Nerv in Rexanas Körper war zum Zerreißen angespannt. Als sich ihre Hand um das kalte Gold des Kerzenleuchters schloss, drückte der Saphirring gegen ihre Haut.
Es gab jetzt nur noch wenige Schlupfwinkel, in denen Henry sich verbergen konnte. Ob er wohl hinter dem handgeschnitzten Wandschirm links neben der Feuerstelle stand? Oder kauerte er etwa auf der anderen Seite des Bettes?
Sie wagte kaum zu atmen, als Winton um das riesige Bett herumging, das mit Kissen und dem Fell eines ihr unbekannten Tieres bedeckt war. Mit aller Macht umklammerte sie den Kerzenständer und sah zu, wie er sich hinkniete, ein paar Holzscheite in das Feuer warf, dann aufstand und die letzten Fackeln anzündete. Nichts geschah.
Erleichtert stieß sie die Luft aus. Entweder hatte Henry sich gut versteckt oder einen Weg aus den Gemächern gefunden. Sie lockerte ihren Griff um den Leuchter und seufzte. Winton kam zu ihr. »Ihr werdet hier auf Sheriff Linford warten. Ich werde Euch eine Dienerin schicken, damit sie Euren Fuß versorgt.«
»Nein«, sagte Rexana hastig. »Ich kümmere mich selbst um den Splitter.«
»Na schön.« Die Stimme des Dieners nahm einen strengen Ton an, als hätte er ein Kind vor sich, das soeben die Schule geschwänzt hat. »Und lasst Eure Finger von den Besitztümern Seiner Lordschaft. Auch von den Kerzenständern.«
Rexana zuckte beiläufig die Achseln. »Ich habe mir nur die ausgefallenen Verzierungen angesehen.« Mit ihren Fingern zog sie eines der geschwungenen Zeichen nach und ließ dann die Hände sinken.
Nur für den Bruchteil eines Augenblicks wurden Wintons Gesichtszüge etwas freundlicher. Er deutete mit dem Kopf auf einen Tisch, der in der Nähe stand. »Nehmt Euch von dem Wein oder den Orangen und Feigen in der Obstschale, während Ihr wartet.«
Dann warf er ihr noch einen letzten, warnenden Blick zu und verschwand durch die Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel.
Rexana atmete erleichtert auf. Nun war sie allein … oder Henry hielt sich doch in einer Ecke versteckt und wartete auf ein Zeichen von ihr, dass er herauskommen konnte.
Sie rieb sich die Arme und flüsterte: »Henry?«
Stille, nur das Prasseln des Feuers im Kamin war zu hören.
»Henry, die Luft ist rein, du kannst herauskommen. Bist du da?«
Nichts. Sie grinste. Wahrscheinlich war er schon wieder auf dem Weg in den Saal, um sich dort mit den Musikanten zu treffen.
Wenn Henry das Schreiben bereits an sich genommen hatte, dann musste sie den Sheriff nicht mehr verführen. Dann konnte sie einfach zu den anderen gehen und die Burg verlassen, noch ehe Linford etwas davon bemerkte.
Sie musste an das Lächeln denken, das der Sheriff ihr zugeworfen hatte, als sie ihn verließ. Auf einmal spürte sie einen Anflug von Enttäuschung, dass sie nun, nach allem, was passiert war, weder seine Küsse noch seine Berührungen oder seinen Atem auf ihrer Haut würde erleben können.
Rexana schüttelte den Kopf und verscheuchte diese unsinnigen Gefühle. Sie sehnte sich doch nicht nach den Aufmerksamkeiten eines Barbaren! Weder heute noch in aller Ewigkeit.
Sie stemmte ihre Hände in die Hüften, sah sich im Zimmer um und nagte dabei an ihrer Unterlippe. Ob es ihr wohl gelingen würde, die Wachen vor der Tür zu überlisten? Vielleicht. Und doch musste Henry auf einem anderen Weg aus dem Gemach geschlichen sein. Vermutlich war es klüger, wenn auch sie diesen Weg benutzte.
Ihr Blick fiel auf den großen, aufwendig geschnitzten Paravent, der eine Ecke des Zimmers abschirmte. Was verbarg sich wohl dahinter? Eine geheime Tür? Sie
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