Tanz des Lebens
ihre Gefühle lesen konnte. Zusammen waren sie ein unschlagbares Team geworden, was das Vergraulen von Kindermädchen betraf, bis sie vor fünf Jahren schlagartig erwachsen wurden. Nämlich dann, als ihre Mutter die Scheidung einreichte, in ihre Heimat England zurückging und von dort einen erbitterten Sorgerechtsstreit mit ihrem baldigen Ex-Ehemann Mike Conners führte.
Schließlich war es Faye gewesen, die den sorgenvollen Gesichtsausdruck ihres Vaters nicht mehr ausgehalten hatte. Unter der Bedingung, Luke wegen seiner Blindheit nicht aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen, willigte Faye schweren Herzens ein, für ein Jahr zu Violet nach England zu ziehen. Das war jetzt – Gott sei Dank – vorüber. Violet hatte ihr Versprechen gehalten und zähneknirschend zugunsten ihres Ex-Mannes auf das Sorgerecht der Geschwister verzichtet. Ein erleichtertes Lachen huschte über Fayes Gesicht.
Sie freute sich unbändig, endlich wieder in das ruhige, beschauliche Fischerstädtchen Monterey zurückzukehren. Kein anderer US-Staat verkörpert den American Way of Life mehr als das sonnenverwöhnte Kalifornien an der Pazifikküste im Westen der USA. Es war ein Paradies aus Sonne, Stränden, herrlichen Landschaften, verheißungsvollen Städten, Jugendlichkeit und New Age.
Modische Orte wie San Francisco, Los Angeles, San Diego oder Malibu waren das begehrte Ziel für alle Aussteiger, Intellektuelle, Schriftsteller und New-Age-Anhänger, die den Highway Number One entlang der Pazifikküste, die berühmte Panoramastraße, die Los Angeles im Süden, mit San Francisco im Norden verbindet, entlangfuhren. Schon im 19. Jahrhundert zogen die Siedlertrecks nach Westen und wie sie wollten noch heute Millionen Menschen in aller Welt dort ihr Glück versuchen.
Und mitten in der atemberaubenden Landschaft Kaliforniens, auf einer Halbinsel gelegen, lag der abgeschiedenen und beschauliche Ort Monterey. Für Faye der schönste Ort der Welt und ihr Zuhause. Ihr erster Lebensmittelpunkt war von Anfang an ihr bodenständiger, gefühlvoller und liebevoller Vater gewesen. Seit seiner Geburt jedoch hatte Luke diesen Platz eingenommen – und daran würde sich auch niemals etwas ändern.
Fayes starrte durch die Windschutzscheibe in den dunklen, wolkenverhangenen Junihimmel, aus dem es mittlerweile Hunde und Katzen gleichzeitig regnete. Zu dem typischen englischen Dauerregen gesellte sich ein grauer Nebelschleier. Er hing tief über den kahlen Feldern der vorbeifliegenden Landschaft. Doch selbst dieser trostlose Anblick konnte Fayes erwartungsvolle Vorfreude nicht im Geringsten trüben.
Am Flughafen ging es laut und hektisch zu. Als Faye endlich ihre Bordkarte erhielt und durch die Absperrung gehen wollte, hielt Violet sie am Arm fest und schoss ihre letzte spitze Bemerkung ab.
»Willst du es dir nicht doch nochmal überlegen? Wenn du bei mir bleibst, hast du viel mehr Chancen. Ich kann dir mit Sicherheit eine bessere berufliche Zukunft bieten als dein bemitleidenswerter Vater.«
»Mom –« Faye öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber nach einem Blick in Violets ironisch verzogenes Gesicht, schloss sie ihn wieder. Nur mühsam konnte sie sich davon abhalten, ihre elegante Mutter in die Arme zu schließen, um sie vor allem zu beschützen: der Unnahbarkeit und dem Sarkasmus, der Kälte und der kühlen Gleichgültigkeit. Aber da sie wusste, wie sehr Violet Umarmungen hasste, nahm sie ihre Arme wieder herunter.
Faye wurde das Herz schwer. Auf der einen Seite war sie überglücklich, dass die englisch-sarkastischen Violet-Tage jetzt endgültig vorbei waren, auf der anderen Seite war und blieb Violet ihre Mutter. Seufzend stellte Faye sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Wange. »Mach’s gut, Mom, und pass auf dich auf, ja?«
Ihre Mutter sagte nichts und betrachtete sie stattdessen nur mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen. Als Faye das Schweigen zwischen ihnen nicht mehr aushielt, griff sie nach ihrem Rucksack, der auf dem Boden zwischen ihren Beinen stand. Mit einem wehmütigen Winken ging sie langsam durch die Absperrung.
Die von den Flammen erzeugten Schatten tanzten auf ihrem schweißnassen Körper. Über ihrem Kopf hörte sie das Schwingen der Raben. Das Feuer zerrte an ihren Haaren und sie fühlte, wie ein Zittern durch ihren Körper lief. Mit letzter Kraft zwang sie sich, in seine kohlrabenschwarzen Augen zu blicken. Augen, in denen eine grausame Tiefe lag und die im Flammenschein ihrer
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