Tanz des Lebens
Haare tückisch aufleuchteten. Kalte Lippen streiften ihren Hals, als sie das drohendende Flüstern an ihrem Ohr vernahm: »Ich werde dir das nehmen, was du am meisten auf der Welt liebst. Er gehört mir – mir allein.«
»Neeein!« Mit einem panischen Aufschrei schnellte Faye hoch und wurde gleich darauf unsanft zurückgeschleudert.
»Miss, geht es Ihnen gut?«
»Was –?« Stumm schüttelte Faye den Kopf und presste zitternd ihre Hände auf ihre Ohren. Keuchend holte sie Luft und versuchte die drohende Stimme und die erschreckenden Traumbilder aus ihren Gedanken zu verbannen. Ein leises Klirren drang an ihre Ohren und riss sie damit aus ihrem tranceähnlichen Zustand. Ihr Herz klopfte noch immer stakkatoartig, als sie benommen ihre Augen öffnete und versuchte sich zu orientieren. Langsam sah Faye an sich hinunter und bemerkte aus den Augenwinkeln den Sicherheitsgurt um ihre Hüften. Der hatte sie also am Aufstehen gehindert.
Das hieß, dass sie sich noch immer im Flugzeug befand – in der Realität, in Sicherheit. Ihr Körper brannte nicht lichterloh und es stand auch niemand vor ihr, der grausame Drohungen in ihr Ohr flüsterte. Erleichtert atmete Faye auf. Im Gang neben sich sah sie eine Stewardess mit einem Krug Fruchtsaft, in dem zerkleinerte Eisstückchen klirrten, als sie sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck zu ihr herunterbeugte. »Kann ich irgendetwas für Sie tun? Möchten Sie vielleicht etwas trinken?«
»Ääh … ja, danke. Ich glaube, ich bin nur etwas eingedöst und habe einen grässlichen Alptraum gehabt. Sind wir bald da?«
Lächelnd zog die Stewardess das Schieberollo des Flugzeugfensters hoch. Faye blinzelte in die untergehende Sonne, die ihre letzten goldenen Strahlen über den verblassenden magentafarbenen Horizont fächerte.
»Wie spät ist es?«, fragte sie erstaunt.
»Es ist kurz nach neun. Sie haben fast zehn Stunden lang fest geschlafen.«
»Oh Gott, damit habe ich fast den ganzen Tag verpasst.«
»Hey, das macht doch nichts. Hier, trinken Sie etwas und versuchen Sie sich zu entspannen.« Dankbar nahm Faye das Glas und die Serviette entgegen und wartete, bis das Zittern ihrer Hände ein wenig nachließ, bevor sie wie eine Verdurstende in hastigen Zügen den eisgekühlten Himbeersaft runterstürzte. Sie konnte sich nur noch grob erinnern, dass sie in ins Flugzeug gestiegen war. Der Abschied von ihrer Mutter auf dem Flughafen London-Heathrow war kurz und schmerzlos ausgefallen. Wie immer.
Durch die vielen Auslandsreisen ihrer Eltern war Faye abgehärtet und an einen Abschied ohne Tränen gewöhnt, sozusagen abschiedserprobt. Aufatmend war sie die Gangway der American Airline hochgelaufen und am Eingang von der Stewardess der ersten Klasse begrüßt und sogleich nach links in die Comfortclass geführt worden. Das in ihren Augen vollkommen überteuerte Flugticket war die Art ihrer Mutter, ihr ihre Liebe zu zeigen.
Doch kaum dass ihr Körper den weichen Ledersessel berührt hatte, war sie todmüde eingeschlafen. Das einsame Jahr in der englischen Verbannung steckte ihr immer noch tief in den Knochen und hatte mental alles von ihr abverlangt. Das forderte jetzt unweigerlich seinen Tribut. Auf dem bisherigen Flug hatte Faye alles nur wie durch eine Nebelwand wahrgenommen und war vor Erschöpfung in einen Tiefschlaf gesunken.
Jetzt fühlte sie sich zum ersten Mal – abgesehen von dem schrecklichen Alptraum – wieder lebendig. Sie merkte, wie ihre alten Kräfte langsam zurückkamen. Nur noch ab und zu verspürte sie ein leichtes Prickeln. Prüfend strich Faye mit ihrem Zeigefinger über ihre Arme. Alles normal. Schläfrig seufzte sie auf, legte den Kopf nach hinten und schmiegte sich in den weichen Ledersitz.
Lächelnd nickte sie der freundlichen Stewardess zu, als diese ihr das Tablett mit einem köstlich duftenden Abendessen auf den ausgezogenen Tischchen deponierte. Mit einem Mal verspürte sie einen riesigen Hunger und stürzte sich erfreut auf das erste amerikanische Essen seit langer Zeit: knuspriges Brathühnchen mit Maispürre und als Nachtisch Apple Pie.
Nach dem Essen wurde die Kabine verdunkelt und man ließ einen Dokumentarfilm laufen, der erst letzte Woche entstanden war und weltweit durch die Nachrichten ging. Faye lehnte sich zurück und betrachtete die vorbeiziehenden Bilder mit den darüberstehenden Kommentaren:
“Burma – ein Land kehrt langsam zurück zur Normalität. Obama zu historischem Besuch in Burma eingetroffen. Als erster amtierender
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