Tanz des Verlangens
Stille schubsten sich die Touristen gegenseitig über den nassen Kies, um von diesem Ort zu fliehen.
Sobald der Friedhof leer war, sagte Nikolai: „Conrad, du solltest dich auf die Möglichkeit vorbereiten, dass du nicht finden wirst, was du suchst. Oder dass du das Grab findest, nur um zu entdecken, was diese Frau … was sie einmal war .“
Ihre Überreste. Conrad schüttelte heftig den Kopf. „Ich verstehe“, sagte er. Dann wurde er ganz still und hielt die Luft an, um nach Néomi zu lauschen. Am liebsten hätte er seinem Herzen verboten, so wild zu hämmern. Er bemühte sich, etwas zu hören, abgesehen von den Zikaden und dem Verkehr in der Ferne …
Sein Kopf zuckte nach links. Dort. Ein kaum wahrnehmbares Klopfen. „Ich höre sie!“
„Wie kannst du sicher sein, dass sie es ist?“, fragte Nikolai.
„Ich kenne ihr Herz.“ Er steuerte geradewegs auf das Geräusch zu, folgte ihm bis zu einem großen gelblich weißen Grab, wenigstens sieben Ebenen hoch. Furcht schoss ihm eiskalt in die Adern. War sie wirklich an diesem Ort? In einem dieser vielen Särge? Wie verängstigt sie sein musste. Ich träumte, sie würde an ihrer Todesangst ersticken …
Nein! Denk jetzt nicht an so was, du musst dich konzentrieren!
Er verfolgte das Geräusch bis zu einer Einbuchtung in der dritten Ebene zurück. Die Marmortafel, die das Grab verschloss, war so verwittert, dass er sie nicht entziffern konnte.
Conrad schluckte und hieb mit der Faust in den Marmor, der augenblicklich zerbröckelte. In dem Gewölbe dahinter befand sich ein kleiner schwarzer Sarg. Er zog ihn heraus und stellte ihn behutsam auf den kiesbestreuten Weg.
„Conrad!“ Nikolai legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich hoffe, du bist vorbereitet.“
Conrad nickte, dann packte er den Sargdeckel und öffnete ihn mit einem Ruck …
„Néomi!“, flüsterte er heiser.
Ihre Augen waren geschlossen, ihr Körper so still wie der einer Leiche. Um ihren nackten Körper herum lagen Überreste verrotteter Seide und Bänder. Ihr bleiches Gesicht und ihr langes Haar waren mit Schmutz beschmiert. Mit einem lauten Schrei zog Conrad sie heraus und drückte sie an sein Herz.
„Mein Gott“, hauchte Nikolai. „Dann warst du also gar nicht … Ist deine Frau am Leben?“
„Néomi, sag doch etwas zu mir!“ Nichts. Conrad strich ihr mit den Fingerrücken über das Gesicht. Keinerlei Reaktion. Aber warum nur? Er hielt sie ein Stück weit von sich weg. Ihr Körper war perfekt. Ihre Haut war warm und offensichtlich gut durchblutet. Er zog sie wieder in die Arme. „Bitte, Kleines, irgendetwas …“
Ihre Augen öffneten sich langsam. So blau.
Sie hustete, keuchte nach Luft. „… hab gewusst, dass du mich findest.“ Dann brach sie in Tränen aus.
Den Blick abgewandt reichte Nikolai Conrad seine Jacke, damit dieser sie ihr umlegen konnte. Sobald er sie darin eingehüllt hatte, legte Conrad die Hand auf ihren Hinterkopf und drückte sie an seine Brust – viel zu fest, aber er konnte einfach nicht loslassen.
„I-ich w-wusste, dass du kommst, Conrad“, flüsterte sie, am ganzen Leib zitternd.
„Immer, koeri , immer“, murmelte er. Er wiegte sie sanft hin und her. „Mein tapferes, tapferes Mädchen.“
Dann traf er auf Nikolais erstaunten Blick. „Die Zeit der Rache ist vorbei.“ Seine Stimme brach. „Ich danke dir, Bruder.“
„Es tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe“, sagte Nikolai aufrichtig. „Aber hast du deine Frau gerade Köder genannt? Das ist für dich ein Kosename?“ Auf Conrads verärgerten Blick hin hob er die Hände. „Schon gut, geht mich nichts an.“ An Néomi gerichtet sagte er: „Willkommen in der Familie.“ Mit diesen Worten verschwand er.
Conrad brachte sie ebenfalls von diesem Ort weg, er translozierte sie auf direktem Weg in ihr Badezimmer auf Elancourt. Ohne sie auch nur eine Sekunden loszulassen, ließ er ihr ein Bad ein und setzte sie behutsam in das dampfende Wasser.
Während er ihr den Staub von der Haut und aus den Haaren wusch, saß sie mit benommenem Blick da und konnte nicht aufhören zu weinen.
„Wird dir langsam warm?“
Sie nickte.
„Néomi, bist du verletzt?“
„N-nein, nur ganz schön durcheinander. Ich kann irgendwie nicht aufhören zu weinen.“
„Das bringt mich um, koeri . Sag mir, was ich tun kann, um dir zu helfen.“
„Es tut mir leid. Es ist nur … obwohl ich wusste, dass du mich finden würdest, war es … schwierig, in diesem Sa…, also da drin zu sein.“
Er schob ihr
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