Tanz mit dem Schafsmann
Frühlingsstimmung konnte man lächelnde Gesichter an einer Hand abzählen. Vielleicht lächelten sie auch nicht, sondern legten nur nervöse Zuckungen an den Tag. Ich kaufte zwei Zeitungen am Kiosk und ging zu einem Dunkin’ Donuts, wo ich sie beim Frühstück las. Über May stand nichts darin. Eröffnungsfeier von Tokyo Disneyland, Kämpfe zwischen Vietnam und Kambodscha, Gouverneurswahlen in Tokyo, Kleinkriminalität in den Schulen. Aber keine Zeile über eine schöne junge Frau, die in einem Hotel in Akasaka erdrosselt worden war. Wie Makimura sagte, ein banales Verbrechen. Nichts Sensationelles im Vergleich zur Eröffnung von Disneyland. So etwas vergisst man besser sofort. Es gibt natürlich auch Leute, die das nicht tun. Zu denen gehöre ich. Der Mörder vielleicht auch. Und die beiden Kommissare ebenfalls.
Ich studierte die Kinoseite, da ich Lust auf einen Film hatte. Unerwiderte Liebe lief nicht mehr. Das brachte mich auf Gotanda. Ich musste ihn über die Sache mit May informieren. Falls er aus irgendeinem Grund vernommen werden sollte und meinen Namen erwähnte, geriete ich in eine sehr zwielichtige Lage. Schon bei der bloßen Vorstellung, noch einmal von den Bullen vernommen zu werden, dröhnte mir der Kopf.
Ich benutzte das pinkfarbene Telefon bei Dunkin’ Donuts, um Gotanda anzurufen. Er war natürlich nicht da. Also hinterließ ich auf seinem Anrufbeantworter eine Nachricht, er möge unbedingt zurückrufen. Dann warf ich die Zeitungen in den Müll und ging nach Hause. Unterwegs sann ich darüber nach, wie Vietnam und Kambodscha in einen Krieg geraten konnten. Ich kapierte das nicht. Komplizierte Welt.
Ein Tag, um Ordnung zu schaffen. Solche Tage gibt es. Geeignet für praktische Erledigungen.
Es gab genug zu tun. Zuerst brachte ich einen Stapel Hemden in die Reinigung und kehrte mit einem frischen Stapel zurück. Dann ging ich zur Bank, um Bargeld abzuheben, die Telefon- und Gasrechnungen zu bezahlen und die Miete zu überweisen. Anschließend ließ ich mir beim Schuster die Absätze neu besohlen. Ich kaufte Batterien für den Wecker und ein Sechserpack unbespielte Kassetten. Zu Hause startete ich einen Großputz zur Musik von FEN. Ich schrubbte die Badewanne, räumte den Kühlschrank leer und wusch ihn aus, überprüfte die Lebensmittel und räumte sie wieder ein. Ich reinigte den Backofen und den Ventilator, wischte den Küchenboden, putzte die Fenster und brachte den Müll raus. Dann wechselte ich die Bettwäsche und saugte das Zimmer. Es war bereits zwei Uhr, so lange war ich schon zugange. Als ich zu Styx’ Mister Roboto die Jalousienlamellen abwischte, klingelte das Telefon.
Es war Gotanda.
»Könnten wir uns vielleicht irgendwo treffen und in Ruhe reden? Am Telefon möchte ich nicht darüber sprechen«, sagte ich.
»Einverstanden. Aber ist es wirklich so dringend? Ich stecke nämlich gerade gleichzeitig in Dreharbeiten für einen Kinofilm und einen TV-Videoclip. Kann es nicht ein paar Tage warten? Dann habe ich Luft.«
»Tut mir leid, dass ich dich so bedränge, aber jemand ist ermordet worden«, erklärte ich. »Jemand, den wir beide kennen, und die Ermittlungen sind voll im Gange.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Ein ruhiges, beredtes Schweigen. Bisher hatte ich immer geglaubt, Schweigen sei einfach nur Schweigen. Aber bei Gotanda war das anders. Wie alle seine angeborenen Qualitäten war auch dieses Schweigen smart, cool und intelligent. Es mag albern klingen, aber wenn man die Ohren spitzte, konnte man das Surren seines mentalen Getriebes hören, das auf Hochtouren lief. »Verstehe. Wie wäre es heute Nacht? Es könnte aber sehr spät werden. Ist das okay?«
»Klar.«
»Ich ruf dich gegen eins oder zwei an. Tut mir leid, aber davor habe ich keine Minute Luft.«
»Kein Problem. Ich bleib so lange auf.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, ließ ich das Gespräch noch einmal Revue passieren.
Aber jemand ist ermordet worden. Jemand, den wir beide kennen, und die Ermittlungen sind voll im Gange.
Hörte sich an wie im Krimi. Kaum war Gotanda im Spiel, wurde alles filmreif. Woran mochte das liegen? Als würde die Wirklichkeit sich Schritt für Schritt entziehen. Ich hatte das Gefühl, eine mir zugeteilte Rolle zu spielen. Vielleicht besaß Gotanda so etwas wie eine Aura. Ich sah ihn vor mir, mit Sonnenbrille und hochgeschlagenem Trenchcoat-Kragen an seinen Maserati gelehnt. Charmant. Wie in einem Werbespot für Gürtelreifen. Unwillig schüttelte ich den Kopf und
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