Tanz mit dem Schafsmann
anderem.«
»Hast du an etwas Unangenehmes gedacht?«
»Das schon eher.«
»Tust du das oft?«
»Hin und wieder schon.«
Yuki seufzte und spielte mit der Papierserviette. »Fühlst du dich manchmal schrecklich einsam? Nachts zum Beispiel? Und fängst du dann an zu grübeln?«
»Klar, das kommt vor«, erwiderte ich.
»Und jetzt gerade? Weshalb kommen dir plötzlich solche Gedanken?«
»Vielleicht, weil du zu schön bist«, antwortete ich.
Yuki starrte mich mit leerem Blick an, genau wie ihr Vater. Dann schüttelte sie sacht den Kopf. Ohne etwas zu sagen.
Yuki bezahlte.
»Der Typ denkt, wenn er mich mit Geld überschüttet, sei alles in Ordnung«, sagte sie. »Idiotisch. Deshalb kann ich dich heute mal einladen. Wir sind doch gleichberechtigt, in gewissem Sinne, nicht? Sonst lädst du mich immer ein, also kann ich mich doch hin und wieder revanchieren.«
»Na, dann vielen Dank«, sagte ich. »Für dein zukünftiges Leben merk dir aber, dass es gegen die klassische Rendezvous-Etikette verstößt.«
»Was?«
»Bei einem Date stürmt nicht das Mädchen mit der Rechnung zur Kasse. Sie lässt den Mann bezahlen und gibt es ihm hinterher wieder. Das gehört sich so, sonst verletzt du den männlichen Stolz. Für mich gilt das natürlich nicht, ich bin ja kein Macho. Aber es gibt massenweise empfindliche Knaben da draußen, denen es was ausmachen würde. Die Welt ist immer noch patriarchalisch.«
»So ’n Quatsch«, erwiderte Yuki. »Mit so ’nem Typen würde ich mich sowieso nicht abgeben.«
»Na ja, alles eine Frage des Blickwinkels«, sagte ich und manövrierte den Wagen aus der Parklücke. »Aber die Leute verlieben sich nun mal irrational. Manchmal hat man nicht die Wahl. Die Liebe ist nicht vorherzusehen. Wenn du alt genug bist, einen BH zu tragen, wirst du das verstehen.«
»Ich hab dir doch gesagt: Ich hab schon welche«, schrie sie empört und boxte mich auf die Schulter. Fast hätte ich einen knallroten Abfalleimer umgenietet.
»War doch nur ein Scherz«, sagte ich und hielt an. »In der Welt der Erwachsenen macht man ständig Witze und lacht darüber. War vielleicht ein blöder Scherz, aber daran musst du dich bei mir gewöhnen.«
»Hm«, brummte sie.
»Hm«, brummte ich.
»Blödsinn«, sagte sie.
»Blödsinn«, echote ich.
»Äff’ mich nicht nach!«
Ich ließ es bleiben und fuhr vom Parkplatz herunter.
»Noch eins, Yuki. Hör auf, Leute beim Autofahren zu prügeln. Das ist kein Witz. Wir könnten dabei draufgehen. Also Rendezvous-Regel Nummer zwei: Nicht sterben, sondern überleben .«
»Hm«, machte Yuki.
Auf der Rückfahrt redete Yuki kaum ein Wort. Apathisch saß sie da und schien über etwas nachzudenken. Hin und wieder döste sie ein. Wann sie wach war oder schlief, war kaum zu unterscheiden. Sie hörte auch keine Musik. Ich legte versuchsweise eine Kassette mit John Coltranes Balladen ein. Sie protestierte nicht, schien nicht einmal wahrzunehmen, dass Musik lief. Bei den Solos summte ich leise mit.
Die nächtliche Rückfahrt von Shônan nach Tokyo war öde. Ich konzentrierte mich auf die Rücklichter der Wagen vor mir. Als wir auf die Autobahn fuhren, richtete Yuki sich auf und kaute Kaugummi. Dann zündete sie sich eine Zigarette an, warf sie jedoch nach ein paar Zügen wieder aus dem Fenster. Bei der nächsten Zigarette hätte ich sie zurechtgewiesen, aber es blieb bei dieser einen. Guter Instinkt – sie schien zu wittern, was ich dachte, und wusste genau, wann sie einen Rückzieher machen musste.
»Wir sind da, Prinzessin«, sagte ich, als wir vor ihrer Wohnung in Akasaka hielten.
Daraufhin wickelte sie ihr Kaugummi ins Papier und legte es auf die Ablage. Tranig öffnete sie die Tür, stieg aus und ging los. Einfach so, die Beifahrertür offen lassend, ohne sich zu verabschieden, ohne einen Blick zurück zu werfen. Schwieriges Alter. Vielleicht hatte sie ja auch ihre Tage. Wie einem Film mit Gotanda entsprungen. Eine sensible, komplizierte Pubertierende. Sicher hätte Gotanda sich geschickter angestellt als ich. In ihn hätte sich Yuki natürlich Hals über Kopf verliebt. Sonst wäre es ja kein Film. Oh Mann, schon wieder Gotanda! Ich schüttelte den Kopf, langte über den Beifahrersitz zur Tür und schlug sie zu. Auf dem Heimweg summte ich Freddie Hubbards Red Clay mit.
Am nächsten Morgen ging ich gleich nach dem Aufstehen zum Bahnhof Shibuya, um eine Zeitung zu kaufen. Es war kurz vor neun, und die werktätige Bevölkerung strömte über den Vorplatz. Trotz der
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