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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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unterwegs in Ruhe reden, und du sparst Zeit.«
    »Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun«, sagte er.
    Als er eingestiegen war, schaute er sich verwundert um. »Wie gemütlich!«
    »Wir verstehen uns eben prima, mein Wagen und ich.«
    »Ach deswegen«, sagte er.
    Zu meiner Überraschung hatte Gotanda tatsächlich einen Trenchcoat an, der ihm natürlich hervorragend stand. Er trug zwar keine Sonnenbrille, aber dafür eine normale Brille, die ihm ebenfalls gut stand und ihm einen intellektuellen Touch verlieh. Ich fuhr uns durch die leeren nächtlichen Straßen in Richtung Auffahrt Tokyo-Yokohama.
    Gotanda nahm die Beach-Boys-Kassette von der Ablage und warf einen Blick darauf.
    »Lange her«, sagte er. »Hab ich früher oft gehört. In der Schulzeit. Beach Boys – ein ganz besonderer Sound. So intim und einschmeichelnd. Immer scheint die Sonne, und man kann die salzige Meeresluft förmlich riechen. Als würde man neben einem hübschen Mädchen am Strand liegen. Wenn ich die Songs hörte, hatte ich wirklich das Gefühl, in diesem Szenario zu sein. Ein Mythos. In dem man nicht altert und alles seinen Glanz bewahrt. Ewige Jugend. Wie im Märchen.«
    »Stimmt«, sagte ich und nickte. »Ich empfinde das genauso.«
    Er wog die Kassette auf seiner Handfläche. »Aber das ist natürlich eine Illusion. Wir werden alle älter. Und die Welt verändert sich. Alle Mythen vergehen. Nichts dauert ewig.«
    »Wie wahr.«
    »Nach Good Vibrations habe ich die Beach Boys nicht mehr gehört. Keinen Bock mehr auf dieses sentimentale Zeug. Ich stand auf Hardrock. Cream, The Who, Led Zeppelin, Jimmy Hendrix … Die Zeiten waren einfach härter, die Beach Boys hatten ausgedient. Aber ich kann die Songs heute noch auswendig, Surfer Girl und so weiter. Eine Märchenwelt, aber nicht schlecht.«
    »Finde ich auch«, sagte ich. »Aber die späteren Beach Boys sind nicht schlecht. Es lohnt sich, mal reinzuhören. 20/20 oder Wild Honey oder Holland oder Surf’s up – alles keine üblen LPs. Nicht so brillant wie die früheren, aber mir gefallen sie. Die Mischung ist zwar etwas eigenwillig, aber man spürt die zähe Willenskraft. Mit Brian Wilson ging es psychisch immer mehr bergab, und am Ende hat er so gut wie nichts mehr für die Band getan. Aber die anderen haben alles darangesetzt, die Gruppe am Leben zu erhalten. Ihre verzweifelte Bemühung ist der Musik anzumerken. Natürlich waren sie anachronistisch, da hast du Recht. Aber trotzdem nicht übel.«
    »Ich höre mal rein«, sagte Gotanda.
    »Sie werden dir wahrscheinlich nicht gefallen«, sagte ich.
    Er schob die Kassette in den Schlitz. Es lief das Stück Fun fun fun , und Gotanda pfiff leise mit.
    »Die guten, alten Zeiten«, sagte er. »Das war vor zwanzig Jahren in . Kaum zu glauben, nicht?«
    »Als wäre es gestern gewesen«, erwiderte ich.
    Gotanda blickte kurz irritiert zu mir rüber und lächelte dann. »Deine Scherze sind mitunter etwas verschroben.«
    »Es gibt kaum jemanden, der Sinn für meine Art von Humor hat«, sagte ich. »Die meisten nehmen meine Witze ernst. Schrecklich, diese Welt. Ich werde keinen einzigen Witz mehr machen.«
    »Immer noch weit besser als die Welt, in der ich lebe«, erwiderte er lachend. »Dort hält man es für witzig, Hundekacke aus Plastik in eine Lunchbox zu tun.«
    »Wie witzig wäre es dann erst, echte hineinzutun.«
    »Allerdings.«
    Schweigend lauschten wir eine Weile der Musik. Naive Hippiesongs wie California Girls, 409, Catch A Wave.
    Es begann zu nieseln. Ich stellte die Scheibenwischer mal an, mal aus. Ein zarter Frühlingsregen, mehr nicht.
    »An was kannst du dich aus der Schulzeit erinnern?«, fragte mich Gotanda.
    »Dass ich eine ganz erbärmliche Figur abgegeben habe.«
    »Und was noch?«
    Ich überlegte ein wenig. »Ich erinnere mich daran, wie du im Chemieunterricht den Bunsenbrenner angezündet hast.«
    »Wie bitte?« Gotanda sah mich entgeistert an.
    »Wie du das gemacht hast, war einfach … wie soll ich sagen … chic. Wenn du die Flamme angezündet hast, hatte man das Gefühl, es sei eine bedeutende Leistung für die Menschheitsgeschichte.«
    »Du Spinner, jetzt übertreibst du wohl ein bisschen«, lachte er. »Aber ich weiß schon, was du meinst. Du denkst, ich hätte eine Show abgezogen. Das habe ich schon öfter zu hören bekommen. Früher hätte mich das sehr gekränkt. Es war nämlich überhaupt nicht meine Absicht, mich aufzuspielen. Aber so hat es vermutlich gewirkt. Ganz automatisch. Von klein auf haben die

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