Tanz mit dem Schafsmann
Leute auf mich geachtet, immer zog ich die Aufmerksamkeit auf mich. Kein Wunder, dass ich mir dessen bewusst bin. Was ich auch tue, mehr oder weniger ist es immer gespielt. Meine zweite Natur, könnte man sagen. Insofern war es geradezu eine Erleichterung, als ich dann tatsächlich Schauspieler wurde. Von da an konnte ich nämlich richtig loslegen und zeigen, was in mir steckt.«
Gotanda betrachtete seine zusammengelegten Hände, die auf den Knien ruhten. »Aber ich glaube nicht, dass ich so ein Scheißtyp bin. Ich bin zwar unkompliziert, aber auch verletzlich. Ich trage ja nicht immer eine Maske.«
»Natürlich nicht«, beruhigte ich ihn. »So habe ich das auch nicht gemeint. Ich habe nur gesagt, dass es chic aussah, wie du den Bunsenbrenner angezündet hast. Ich würde das gern noch mal erleben.«
Er lachte vergnügt und putzte seine Brille. Mit Grazie, versteht sich.
»Gern. Beim nächsten Mal«, sagte er. »Dann bringe ich einen Bunsenbrenner und Streichhölzer mit.«
»Und ich vorsichtshalber ein Kissen, falls ich in Ohnmacht falle.«
»Gute Idee.« Er lachte und setzte sich die Brille wieder auf. Er dachte kurz nach und drehte dann die Musik leiser. »Wenn’s dir nichts ausmacht, könntest du mir sagen, wer gestorben ist?«
»May«, sagte ich lapidar und starrte auf die Scheibenwischer. »Sie ist tot. Ermordet. In einem Hotel in Akasaka, mit einem Strumpf erdrosselt. Der Täter ist unbekannt.«
Gotanda starrte mich eine Weile benommen an. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihm klar wurde, was ich ihm erzählt hatte. Als er es endlich begriff, verzerrte sich sein Gesicht. Wie sich bei einem Erdbeben ein Fensterrahmen verzieht. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich seine Miene. Er war sichtlich schockiert.
»Wann wurde sie ermordet?«
Ich teilte ihm das genaue Datum mit. Er verstummte wieder, vermutlich, um seine Gefühle zu ordnen.
»Wie schrecklich«, sagte er dann kopfschüttelnd. »Einfach unfasslich. Es gab doch keinen Grund, sie zu ermorden. So ein reizendes Mädchen. Außerdem …« Er schüttelte erneut den Kopf.
»Ja, ein reizendes Mädchen«, sagte ich. »Wie aus dem Märchen.«
Tief seufzend sank er in den Sitz zurück. Er wirkte abgespannt. Als könne er seine Erschöpfung nicht länger überspielen. Bisher musste er sie tief in seinem Inneren vor anderen verborgen gehalten haben. Unglaublich, dieser Mann. Dass so etwas möglich war. Er wirkte plötzlich gealtert, aber selbst die Erschöpfung verlieh ihm einen Reiz, wie ein persönliches Accessoire. Es war natürlich unfair von mir, so zu denken, denn er war tatsächlich sehr erschöpft und angegriffen, das spürte ich. Aber alles, was mit ihm zusammenhing, wurde elegant. Wie bei dem sagenumwobenen König, der alles, was er berührte, in Gold verwandelte.
»Wie oft haben wir drei bis morgens geredet«, sagte Gotanda leise. »May, Kiki und ich. Es hat immer Spaß gemacht. Wir waren uns so vertraut. Du sagst, wie im Märchen, aber wo findet man heutzutage noch Märchen? Es war für mich sehr wichtig. Und nun verschwindet eine nach der anderen.«
Wir sagten lange Zeit nichts. Ich starrte auf die Straße, Gotanda auf das Armaturenbrett. Ich schaltete die Scheibenwischer ein und aus. Die alten Songs der Beach Boys tönten leise aus den Boxen. Sie sangen von Sonne, Surfen und Autorennen.
»Woher weißt du eigentlich, dass sie ermordet wurde?«, fragte Gotanda.
»Die Polizei hat mich verhört. Ich hatte May an dem Morgen meine Visitenkarte gegeben, für den Fall, dass sie etwas über Kiki erfahren sollte. Sie hatte die Karte in ihrem Portemonnaie. Ich frage mich, wieso sie sie bei sich hatte? Jedenfalls war es so. Zu meinem Pech war die Karte das einzige Indiz, das über ihre Identität hätte Aufschluss geben können. Deshalb haben sie mich in die Mangel genommen. Mir die Fotos von der Leiche gezeigt und mich ausgequetscht, ob ich die Frau kennen würde. Ziemlich harte Burschen, die beiden. Aber ich habe gelogen und behauptet, ich würde das Opfer nicht kennen.«
»Wieso?«
» Wieso ? Hätte ich etwa sagen sollen, dass du derjenige warst, der die beiden für die Nacht angeheuert hat? Überleg mal, welche Konsequenzen das für dich hätte. Wo hast du eigentlich deinen Grips gelassen?«
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich sofort. »Ich bin ein bisschen durcheinander. Das war dumm von mir. Und wie ist es gelaufen?«
»Die haben mir natürlich kein Wort geglaubt. Profis wie die wittern das sofort. Drei Tage haben sie mich in die Mangel
Weitere Kostenlose Bücher